Sterntaler: Thriller (German Edition)
anderem Plunder. Versehentlich stieß ich eine Pappkiste um, die auf einem größeren Karton in einer Ecke stand. Die Kiste enthielt eine Riesenmenge Papier. Alte Manuskripte, nahm ich an. Ich fegte die Seiten zusammen. Die Manuskripte waren ihr heilig, niemand durfte sie anrühren. Also beeilte ich mich. Bis ich mich an ein paar Zeilen festlas.« Johan Aldrin drehte an seiner Uhr und sah aus, als quälten ihn die Erinnerungen, die er nun ausgrub, zutiefst. »So etwas Krankes hatte ich noch nie gelesen. Ich erinnere mich noch, wie ich zusammensackte und mich auf den Boden setzte. Und da blieb ich dann sitzen. Eine ganze Stunde saß ich da und las und las… Offensichtlich waren die Gerüchte wahr. Es war wirklich meine Mutter gewesen, die diese Bücher geschrieben hatte.« Johan Aldrin schüttelte den Kopf. »Mit einem Mal wurde mir vieles klar. Warum sie allein lebte. Warum sie nicht mehr Kinder hatte. Sie war ganz einfach gestört. Geisteskrank. Vielleicht sogar gefährlich. Meine ganze Welt stürzte ein, mit einem Schlag war alles beschmutzt. Alles kaputt. Ich musste weg von ihr. Und so arbeitete ich erst ein Jahr lang in einer Fischfabrik in Norwegen. Dann heuerte ich auf diesem Schiff an und fing an, in derselben Schicht zu arbeiten wie Valter Lund.«
»Es waren so viele Gerüchte über Ihre Mutter im Umlauf«, sagte Fredrika. »Über die Bücher, über Ihr Verschwinden, über ihren Familienstand. Woher rührten die?«
»Das haben wir nie begriffen«, sagte Johan Aldrin. »Aber ich weiß, dass sie viel darüber nachdachte. Es war in jener Zeit wohl nicht weiter verwunderlich, dass die Leute sich das Maul darüber zerrissen, dass sie allein lebte, aber all das andere… das war einfach unbegreiflich.«
Ein Handyklingeln schrillte durch den Raum. Alex entschuldigte sich und stand auf, um das Gespräch vor der Tür entgegenzunehmen.
Es war der Polizeimeister, der die neuerliche Grabung in Midsommarkransen beaufsichtigte. Die Hunde hatten angeschlagen. Ihr Verdacht verdichtete sich.
»Binnen einer halben Stunde werden wir wissen, ob es wirklich Peders Bruder ist«, sagte der Polizeimeister.
Alex betete, dass es nicht so sein möge.
»Sie sind wieder zurückgekommen und haben erneut Kontakt zu Ihrer Mutter aufgenommen«, führte Fredrika die Vernehmung fort.
Aldrin zog das Jackett aus und hängte es über die Rückenlehne seines Stuhls. »Das ist richtig. Es war nämlich nicht so, dass ich einfach abgehauen wäre. Nachdem ich diese Höllentexte auf dem Dachboden gefunden hatte, konfrontierte ich meine Mutter damit. Ich fragte sie, was für eine kranke Person sie eigentlich sei. Und Sie müssen wissen, dass sie sich aufs Heftigste verteidigt hat. Sie sagte, genau das habe sie mir ersparen wollen: Denn nicht sie habe die Texte geschrieben, sondern mein Vater. Und das sei der Grund, warum sie ihn aufgefordert habe, noch vor meiner Geburt aus ihrem Leben zu verschwinden.«
»Aber Sie haben ihr nicht geglaubt…« Die Situation, die Aldrin beschrieb, war einfach zu bizarr, als dass Fredrika es sich vorstellen konnte.
»Nein, das habe ich nicht getan. Ich meine, wenn es die ganze Wahrheit war, warum hatte sie die Texte dann behalten? Warum hat sie ihn nicht gebeten, sie mitzunehmen? Ich dachte, dass es vielmehr umgekehrt wäre. Dass die Texte zwar so alt seien, wie sie behauptete, aber dass sie die Autorin wäre und dass mein Vater sie gefunden und sie dann verlassen hätte.«
»Wann haben Sie begriffen, dass es so war, wie sie sagte?«
»Nachdem das Gerichtsverfahren vorbei war, habe ich sie besucht. Der Fall bekam ja eine ungeheure Aufmerksamkeit in den Medien. Ich las alles, was ich in die Finger bekam, und verfolgte die Sache aus der Entfernung, so gut es ging.«
»Lebten Sie damals in Schweden?«, fragte Alex.
Johan Aldrin zögerte. »Übergangsweise. Rein formell wanderte ich erst später in Schweden ein.«
Ein junger Schwede auf der Flucht vor seiner eigenen Mutter, der nach Norwegen floh, die Identität eines Kollegen stahl und dann wieder in sein eigenes Heimatland einwanderte.
»Sie muss überglücklich gewesen sein, Sie zu sehen.«
»Das war sie.« Johan Aldrin lächelte traurig.
»Warum haben Sie weiter als Valter Lund gelebt?«
»Aus praktischen Erwägungen. In jenem Moment fühlte es sich unmöglich an, zu einem Mann zu werden, der plötzlich von den Toten wiederauferstanden war. Denn offensichtlich dachten einige Leute, dass sie ihr eigenes Kind ermordet hätte.«
»Hat sie Ihnen je
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