Sterntaler: Thriller (German Edition)
der Rubrik »Verbrechen, an die wir uns erinnern« wert. Sie wusste, dass Aldrin wegen Mordes an ihrem Expartner zu lebenslanger Haft verurteilt worden und dass sie obendrein verdächtig gewesen war, ihren halbwüchsigen Sohn ermordet zu haben, der seit Beginn der Achtzigerjahre verschwunden war. Es wurde auch gemunkelt, sie sei die Autorin von zwei in den Siebzigerjahren unter Pseudonym verfassten Schmuddelromanen. Sie hatte keine Ahnung, was die Schriftstellerin heute machte, sie wusste nur, dass sie in den Neunzigerjahren begnadigt worden war.
Doch Rebecca hatte mehr gewusst. An ihren Notizen konnte Fredrika erkennen, dass sie mit den Nachforschungen über das Leben der Autorin recht weit gediehen war. Wie hatte Alex sich ausgedrückt? Rebecca schrieb ihre Arbeit über eine alte Kinderbuchautorin. Eine Schriftstellerin, von der viele Rezensenten einmal gedacht hatten, dass sie die erste Kinderbuchautorin werden könnte, die den Literaturnobelpreis erhielt.
Fredrika schlug das Notizbuch zu. Sie würde es mitnehmen und später in Ruhe lesen.
Die Ordner enthielten massenhaft kopierte Artikel über Thea Aldrins Schicksal. Dabei schlugen sie alle möglichen Richtungen ein. Feministische Literaturkritiker behaupteten, das Interesse für Thea Aldrins Bücher wäre niemals erloschen, wenn sie ein Mann gewesen wäre. Konservativere Wissenschaftler meinten, dass Aldrins Autorenschaft keine solche Aufmerksamkeit gefunden hätte, wenn sie nicht eine derart kontroverse Person gewesen wäre, die grundsätzliche Werte der Sechzigerjahre infrage gestellt hatte.
Fredrika fand eine Plastiktüte und fing an, Ordner und Notizen hineinzustecken. Vergeblich suchte sie nach einem Ausdruck der Seminararbeit. Offenbar war sie nicht fertig geworden, weshalb die Wahrscheinlichkeit, eine Kopie davon an der Uni zu finden, verschwindend gering war.
Sie ging die beiden letzten Kartons durch. In dem einen lagen Nippes und Fotoalben. Fredrika nahm an, dass die Alben bereits durchgeblättert und für uninteressant befunden worden waren, konnte aber der Versuchung nicht widerstehen, sie aufzuschlagen. Die Fotografien zeigten eine Menge unbekannter Plätze und Menschen. Sie durfte nicht vergessen, Rebeccas Tante an die Alben zu erinnern, denn Bilder würden für die Familie sicher bedeutungsvoll sein.
Sie legte alles in den Karton zurück und öffnete den letzten. Noch mehr Papier und– ganz unten– zwei Disketten. Rebecca hatte also einen alten Computer benutzt. Fredrika wunderte sich kurz, dass die Disketten nicht von der Polizei beschlagnahmt worden waren. Vielleicht waren sie aber auch durchgesehen und dann der Familie zurückgegeben worden.
Sie nahm die Disketten heraus und drehte sie. Zwei Etiketten: Auf dem einen stand »Seminararbeit«, auf dem anderen »Sterntaler«.
Sie legte beide zu den Ordnern in ihre Tüte.
Zwischen den restlichen Papieren lagen unsortiert Infobroschüren und Formulare aus der Uni-Verwaltung. »Willkommen zum Studium der Literaturwissenschaft«, stand auf einer der Broschüren. Fredrika bekam beinahe nostalgische Gefühle, als sie das Heft durchblätterte und überflog, welche Routinen an dem Institut galten. Mitten in der Broschüre hielt sie inne. »Unsicher, was du nach dem Abschluss deines Studiums machen willst? Dann besuch uns, und informiere Dich über das Mentorennetzwerk Alfa!« Die Anzeige war von der Studentengewerkschaft geschaltet.
Immer wieder tauchte dieses Mentorennetzwerk auf. Und jetzt auch mit einem Namen. Alfa.
Fredrika wusste, dass längst nicht alle Studenten, die sich dafür interessierten, am Ende auch einen Mentor bekamen. Sie wurden nach Profil und Ambitionen ausgewählt.
Alex hatte behauptet, Rebecca habe den Finanzmenschen Valter Lund als Mentor gehabt, einen Norweger, der Karriere im Axberger-Konzern gemacht hatte. Wie war das möglich? Wie konnte ein Mädchen, das Literaturwissenschaft studierte, Valter Lund höchstselbst zum Mentor bekommen? Fredrika würde sich das Netzwerk näher ansehen müssen.
Auf der letzten Seite der Broschüre stand eine Liste aller Mitarbeiter am Institut und wie man sie erreichte. Gustav Sjöö, Rebeccas Betreuer, war mit rotem Kugelschreiber eingekringelt. Und neben seinem Namen stand mit demselben roten Kugelschreiber von Hand hinzugefügt: Spencer Lagergren, Institut für Literaturwissenschaft, Universität Uppsala.
Die Tinte leuchtete, und Fredrika bekam mit einem Mal weiche Knie.
Ohne nachzudenken, faltete sie die Broschüre zweimal und
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