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Sterntaler: Thriller (German Edition)

Sterntaler: Thriller (German Edition)

Titel: Sterntaler: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Ohlsson
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Nähe spüren können.
    Håkan brach in Tränen aus und trat vom Fenster zurück. Er strich an den Wänden entlang und versuchte, sich in seiner eigenen Wohnung unsichtbar zu machen. Ging ins Schlafzimmer und legte sich aufs Bett. Unterm Kopfkissen lag das Fotoalbum. Er drehte sich auf den Bauch und zog es hervor. Öffnete es mit zitternden Händen und ließ den Blick über die Bilder schweifen.
    Erst das Klassenfoto aus ihrer Zeit auf dem Gymnasium. All die erwartungsvollen Gesichter, die in die Kamera schauten. Die Naivität verursachte Håkan Übelkeit. Die anderen in der Klasse wirkten jünger als er selbst, waren viel unreifer gewesen. Doch nicht Rebecca. Sie lächelte, wenn er mit ihr sprach, sie erleuchtete seine Welt.
    »Grab dich nicht in deine Traurigkeit ein«, hatte sie immer gesagt. »Wenn du dich weigerst, Spaß zu haben, lässt du niemanden anders im Stich als nur dich selbst.«
    Er hatte gelernt zu gehorchen, ihren Ratschlägen und Gedanken zu folgen. Er hatte versucht, in ihrer Nähe zu sein und sich von ihrer Energie und Lebenslust anstecken zu lassen. Er liebte es zu sehen, wie sie aufschien, wenn er sich näherte, und wie sie ihn in ihrem Kreis willkommen hieß.
    Das Problem war nur, dass er sie nie für sich allein hatte.
    Håkan blätterte weiter. Die Fotos von seinem Vater. Rebecca hatte ihm geraten, sie zu behalten. Er selbst hatte die Fotos und auch alle anderen Dinge, die mit seinem Vater zu tun hatten, wegwerfen wollen. Er hasste ihn. Er hatte ihn im Stich gelassen. Weil Håkan ihm nicht wichtig genug gewesen war, weil er sich das Leben genommen hatte– und dann auch noch so, dass Håkan ihn finden musste.
    Danach war er mit seiner Mutter allein gewesen. Wie er dieses Leben gehasst hatte. Seine Mutter trank noch mehr als früher schon und rauchte zwei Päckchen Zigaretten pro Tag. Håkan stank. Der Rauch war überall. In seinen gerade erst gewaschenen Kleidern und in seinem frisch geduschten Haar. Der Gestank zeugte von einem Zuhause, das verfiel, und Håkan bekam einen Vormund, einen verdammten Idioten, der keine Ahnung hatte, wie es Håkan in Wirklichkeit ging.
    Rebecca hatte eine Ahnung. Sie hörte zu, wenn er erzählte, und saß neben ihm, obwohl er schlecht roch. Manchmal durfte er nach der Schule mit zu ihr nach Hause gehen und mit ihrer Mutter und ihrem Bruder zu Abend essen. Sie waren eine richtige Familie, und Håkan genoss es, Teil davon zu sein. Als Rebecca und er zusammen lernten, wollte er nicht in der Bibliothek sitzen, sondern zu Hause bei ihr.
    Es waren auch Fotos von diesen Besuchen in Håkans Album. Rebeccas Mutter Diana hatte sie gemacht. Håkan strich mit dem Finger über Rebeccas Gesicht auf einem dieser Bilder. Direkter Blick in die Kamera, eine Kraft, die Håkan nicht einmal ansatzweise aufbringen würde.
    Neue Bilder. Die Wochen vor dem Abitur. Ihre erste Krise. Håkan seufzte. Alle guten Beziehungen mussten eine Krise durchleben, um ihren Rahmen zu definieren. Das Problem war nur, dass Rebecca ihre Krise unnötig befeuert hatte. Sie redete von zu wenig Luft und dem Gefühl zu ersticken und davon, dass Håkan die ganze Zeit in ihrer Nähe und dass ihr das zu viel sei. Sie wollte auch ihre anderen Freunde treffen und fand, dass Håkan ihr im Weg stand.
    Wie war das möglich?
    Sie hatten eine perfekte Beziehung gehabt, und wenn sie zusammen waren, fehlte es ihnen an nichts. Und doch sprach Rebecca davon, dass man einander Luft lassen müsse, dass Håkan das, was sie gemein hatten, nicht falsch verstehen dürfe.
    Eine neue Seite im Album, und Håkan verspürte wieder die alte Wut. Nach den Abiturbildern gab es ein ganzes Jahr Pause in der Chronologie. Das Jahr, in dem Rebecca in Frankreich studierte. Er hatte eine Woche vor ihrer Abreise davon erfahren. Er war fast ausgerastet vor Wut. Seit dem Examen hatte er sich zurückgehalten und ihr alle Möglichkeiten gegeben, die Bedeutung ihrer Beziehung zu begreifen. Und sie hatte es damit quittiert, indem sie um noch mehr Zeit bat.
    Håkan ballte die Faust. Rebecca hatte Glück gehabt, dass Håkan sowohl großzügig als auch geduldig war.
    Als er zur letzten Seite im Album vorblätterte, empfand er seine ganze Größe. Kaum jemand hätte mehr Zärtlichkeit und Toleranz gezeigt als Håkan.
    Er sah auf das letzte Bild hinab, und wieder liefen ihm die Tränen.
    Ein verschwommenes Schwarzweißbild. Ultraschall.
    Håkans und Rebeccas Kind, drei Monate alt.
    Er setzte sich im Bett auf und atmete schwer. Betrachtete wieder das

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