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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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erspart.«
    Unterdrücktes Gekicher erhob sich inmitten der Apfelblüten.
    »Trotzdem«, meldete sich jetzt Lucy Pippin zögernd zu Wort, »trotzdem wäre es doch schön, in einem großen Haus zu wohnen und einen Vierspänner zu besitzen, so daß man in der Saison nach London reisen kann oder nach Bath zur Kur oder nach Brighton ans Meer, das wöge doch auf, daß Mister Monday schon fünfundvierzig ist.«
    Die anderen Mädchen kreischten und bewarfen Lucy aus vollen Händen mit Apfelblüten, und keine kreischte lauter und warf mehr Blüten als Victoria Forester.
     
     
    * * *
     
    Mit siebzehn Jahren befand sich Tristran Thorn, der nur sechs Monate älter war als Victoria, auf halbem Wege vom Knaben zum Mann und empfand beide Rollen als gleichermaßen unbehaglich. Irgendwie schien er hauptsächlich aus Ellbogen und Adamsapfel zu bestehen. Sein Haar hatte die Farbe von nassem Stroh, stand widerspenstig vom Kopf ab und ließ sich nicht bändigen, so sehr er sich auch mit Wasser und Kamm abmühte.
    Noch dazu war er schrecklich schüchtern, was er wie viele schüchterne Menschen damit zu kompensieren versuchte, indem er sich zur falschen Zeit zu sehr in den Mittelpunkt spielte. Meist jedoch war Tristran ganz zufrieden – oder jedenfalls so zufrieden wie ein Siebzehnjähriger es sein kann, dem die Welt noch offen steht. Und wenn er auf den Feldern oder an dem riesigen Schreibtisch im Hinterzimmer von Monday und Brown, dem Dorfladen, seinen Träumen nachhing, malte er sich aus, wie er mit der Eisenbahn nach London oder Liverpool fuhr oder in einem Dampfschiff über den Atlantik nach Amerika reiste und dort bei den Wilden in der Neuen Welt sein Glück machte.
    Doch zu Zeiten, in denen der Wind von jenseits der Mauer blies und den Geruch von Minze, Thymian und roten Korinthen mit sich brachte, erblickte man seltsame Farben in den Kaminfeuern des Dorfes. Dann funktionierten die simpelsten Dinge nicht mehr, vom Streichholz bis hin zu den Schiebern an den Laternen.
    An solchen Tagen waren Tristran Thorns Träume geprägt von seltsamen Phantasien voller Schuldgefühle, von Streifzügen durch den Wald, von Abenteuern, in denen er Prinzessinnen aus Palästen befreite, von Rittern und Trollen und Meerjungfrauen. Wenn diese Stimmung über ihn kam, schlüpfte er aus dem Haus, legte sich ins kühle Gras der Wiese und starrte hinauf in den Himmel.
    Kaum jemand von uns hat je die Sterne so gesehen wie jene Menschen damals – unsere Städte und Dörfer verströmen viel zuviel Licht in die Nacht –, aber von Wall aus waren die Sterne am Himmel verteilt wie Welten oder Ideen, wie die Bäume im Wald oder die Blätter am Baum. Tristran starrte in die Dunkelheit des Himmels, bis er keinen Gedanken mehr im Kopf hatte, und dann ging er wieder ins Bett und schlief wie ein Toter.
    Er war ein schlaksiges Energiebündel, ein Pulverfaß, das nur darauf wartete, daß jemand oder etwas die Zündschnur in Brand setzte; aber niemand tat es, und so half er an den Wochenenden und abends seinem Vater auf der Farm, und tagsüber arbeitete er als Lehrling bei Mr. Brown von Monday und Brown.
    Monday und Brown war der Dorfladen. Zwar führte er ein gewisses Sortiment an Gebrauchsgegenständen und Lebensmitteln, aber ein Teil des Geschäfts wurde über Bestellisten abgewickelt: Die Dorfbewohner gaben Mr. Brown eine Liste der Dinge, die sie brauchten, von Fleischkonserven bis zum Desinfektionsbad für Schafe, von Fischmessern bis zu Kaminkacheln. Anschließend wurde dann im Laden eine Liste von allem erstellt, was benötigt wurde, und Mr. Brown fuhr in einem von zwei schweren Zugpferden gezogenen Wagen zur nächsten Bezirksstadt. Nach einigen Tagen kehrte er zurück, den Wagen hoch beladen mit Waren jeglicher Art.
    Es war ein kalter, windiger Tag Ende Oktober, einer, an dem es zwar dauernd nach Regen aussah, aber dennoch trocken blieb. Am Spätnachmittag spazierte Victoria Forester in den Laden und machte mit der kleinen Klingel auf dem Ladentisch auf sich aufmerksam.
    Als sie Tristran Thorn aus dem Hinterzimmer auftauchen sah, wirkte sie ein klein wenig enttäuscht. »Guten Tag, Miss Forester.«
    Mit einem verkniffenen Lächeln reichte sie Tristran die Liste, auf der in der präzisen Handschrift ihrer Mutter geschrieben stand:
     
    1/2 Pfund Sago
    10 Dosen Sardinen
    1 Flasche Pilz-Sauce
    5 Pfund Reis
    1 Becher Goldsirup
    2 Pfund Korinthen
    1 Flasche Koschenille
    1 Pfund Gerstenzucker
    1 Packung Rowntrees Elect
    Kakao für einen Shilling
    3 Dosen Oakey’s

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