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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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waren, hast du mich geküßt. Unter der Schwureiche, an deinem fünfzehnten Geburtstag. Und letztes Jahr am Maitag, hinter dem Kuhstall deines Vaters.«
    »Damals war ich ein anderer Mensch«, erklärte sie. »Jetzt werde ich dich nicht küssen, Tristran Thorn.«
    »Wenn du mich nicht küssen willst, heiratest du mich dann wenigstens?« fragte Tristran.
    Schweigen senkte sich über den Hügel, nur das Flüstern des Oktoberwinds war zu hören. Dann durchbrach ein Laut, der wie eine helle Glocke klang, die Stille: Das schönste Mädchen der gesamten Britischen Inseln lachte herzlich.
    »Dich heiraten?« wiederholte sie ungläubig. »Warum in aller Welt sollte ich dich heiraten, Tristran Thorn? Was hast du mir denn schon zu bieten?«
    »Was ich dir zu bieten habe? Ich würde für dich nach Indien reisen und dir die Stoßzähne von Elefanten bringen, Perlen so groß wie dein Daumen und Rubine so groß wie Zaunkönigeier.
    Ich würde für dich nach Afrika gehen und dir Diamanten bringen, so groß wie Krickettbälle. Ich würde für dich die Quelle des Nils finden und nach dir benennen.
    Ich würde für dich nach Amerika fahren – bis nach San Francisco, zu den Goldfeldern, und ich würde nicht eher zurückkommen, als bis ich dein Gewicht in Gold zusammen hätte. Das würde ich dir dann zu Füßen legen.
    Ich würde auch ins ferne Nordland aufbrechen, wenn du es wolltest, und die mächtigen Eisbären töten, um dir ihre Pelze zu schenken.«
    »Ich finde, das klang alles recht gut«, meinte Victoria Forester, »bis auf die Stelle mit dem Eisbärentöten. Doch wie dem auch sei, kleiner Ladenjunge und Farmersohn; ich werde dich nicht küssen, und ich werde dich auch nicht heiraten.«
    Tristrans Augen blitzten im Mondlicht. »Ich würde für dich nach China reisen und dem Piratenkönig seine riesige Dschunke wegnehmen und zu dir bringen, beladen mit Jade, Seide und Opium.
    Ich würde nach Australien gehen, auf die andere Seite der Erde, und dir… Hmm, ja, was würde ich dir bringen?« In Gedanken ging er die Groschenromane durch, die er gelesen hatte, und versuchte sich krampfhaft daran zu erinnern, ob einer der Helden in Australien gewesen war. »Ein Känguruh«, rief er schließlich. »Und Opale«, fügte er hinzu. Er war ziemlich sicher, daß es in Australien Opale gab.
    Victoria Forester drückte seine Hand. »Und was sollte ich mit einem Känguruh anfangen?« fragte sie. »Jetzt müssen wir aber weiter, sonst fragen sich meine Eltern, wo ich so lange bleibe, und ziehen womöglich falsche Schlüsse. Denn ich habe dich nicht geküßt, Tristran Thorn.«
    »Küß mich«, flehte er. »Ich würde alles für dich tun, jeden Berg würde ich erklimmen, jeden Fluß durchwaten, jede Wüste durchqueren.«
    Mit einer Handbewegung umschloß er das Dorf Wall unter ihnen und den Nachthimmel über ihnen. Im Sternbild des Orion, tief am östlichen Horizont, blitzte ein Stern, funkelte und fiel.
    »Für einen Kuß und das Versprechen deiner Hand«, verkündete Tristran, »würde ich dir diesen Stern bringen.«
    Er fröstelte. Sein Mantel war dünn, und es war klar, daß aus dem Kuß nichts werden würde, was ihn ziemlich ratlos machte. Die Helden in den Groschenromanen und Schundheften hatten nie Probleme, wenn es ums Küssen ging.
    »Dann tu das«, sagte Victoria. »Und wenn du es tust, dann willige ich ein.«
    »Was?« fragte Tristran.
    »Wenn du mir den Stern bringst«, antwortete Victoria, »den Stern, der gerade vom Himmel gefallen ist – keinen anderen! – , dann werde ich dich küssen. Vielleicht noch mehr. Jetzt brauchst du also nicht nach Australien zu gehen, auch nicht nach Afrika oder ins ferne China.«
    »Was?« fragte Tristran noch einmal.
    Abermals lachte Victoria, entzog ihm ihre Hand und schickte sich an, den Hügel zur Farm ihres Vaters hinunterzulaufen.
    Tristran rannte, um sie einzuholen. »Meinst du das ernst?« fragte er.
    »Ich meine es genauso ernst wie du dein ganzes hochgestochenes Geschwätz von Rubinen und Gold und Opium«, erwiderte sie. »Was ist eigentlich Opium?«
    »Eine Zutat im Hustensaft«, sagte Tristran. »So was wie Eukalyptus.«
    »Klingt nicht sonderlich romantisch«, meinte Victoria Forester. »Aber solltest du dich nicht allmählich auf den Weg machen, mir meinen Stern zu holen? Er ist im Osten herabgefallen, da drüben.« Wieder lachte sie glockenhell. »Du dummer Ladenjunge. Du kannst doch bestenfalls dafür sorgen, daß wir die Zutaten für unseren Reispudding bekommen.«
    »Und wenn ich dir

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