Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
Vom Netzwerk:
ihr Schattenselbst waren, oder ob die Bauernhütte im Wald echt war oder ob die Lilim in der schwarzen Halle lebten, mit einem Brunnen in Form einer Meerjungfrau, die in einem Hof von Sternen spielte – das wußte niemand genau, und nur die Lilim hätten es sagen können.
    An diesem Tag kam ein altes Weib aus dem Wald; es trug einen Hermelin bei sich, mit blutroter durchschnittener Kehle.
    Sie legte das Tier auf das staubige Schneidebrett und nahm ein scharfes Messer zur Hand. Damit machte sie einen Schnitt um Arme, Beine und Hals, zog dem Hermelin das Fell aus wie einem Kind den Schlafanzug und ließ das nackte Ding auf den hölzernen Hackklotz fallen.
    »Eingeweide?« fragte sie mit zittriger Stimme.
    Die kleinste, älteste, zerzausteste der drei Frauen antwortete, in ihrem Schaukelstuhl schaukelnd: »Warum nicht?«
    Die erste alte Frau nahm das Hermelin am Kopf und schlitzte es vom Hals bis zur Leiste auf, so daß die Innereien auf den Hackklotz quollen, rot und purpurn und lila – wie nasse Juwelen auf dem staubigen Holz.
    »Kommt schnell, kommt schnell!« kreischte die Frau, schob die Hermelineingeweide vorsichtig mit dem Messer herum und kreischte abermals.
    Die Alte im Schaukelstuhl erhob sich mühsam. (Im Spiegel streckte sich eine dunkle Frau und erhob sich von einem Diwan.) Die letzte alte Frau, die gerade vom Außenklo zurückkehrte, beeilte sich und trippelte herbei, so schnell ihre Füße sie trugen.
    »Was?« rief sie. »Was ist los?«
    (Im Spiegel gesellte sich eine zweite junge Frau zu der ersten. Sie hatte kleine, hohe Brüste und dunkle Augen.)
    »Seht nur«, sagte die erste alte Frau und deutete mit dem Messer auf die Eingeweide.
    Ihre Augen waren vom farblosen Grau hohen Alters, und die drei betrachteten angestrengt die Organe auf dem Hackklotz.
    »Na endlich«, sagte eine. »Wurde aber auch Zeit«, die andere.
    »Wer von uns macht sich auf den Weg?« fragte die dritte.
    Die drei Frauen schlossen die Augen, und drei alte Hände grapschten nach den Hermelineingeweiden auf dem Hackklotz.
    Die erste alte Hand öffnete sich. »Ich habe eine Niere.«
    »Ich eine Leber.«
    Auch die dritte Hand ging auf. Es war die der ältesten Lilim. »Ich habe das Herz«, rief sie triumphierend.
    »Wie willst du reisen?«
    »In unserem alten Wagen. Am Kreuzweg wird mir schon ein passendes Zugtier begegnen.«
    »Da wirst du ein paar Jahre brauchen.«
    Die Älteste nickte.
    Die Jüngste – diejenige, die gerade vom Außenklo gekommen war – schlurfte mühsam hinüber zu einer hohen, wackligen Kommode und bückte sich. Aus der untersten Schublade holte sie eine rostige Blechkiste und trug sie zu ihren Schwestern. Die Kiste war mit drei verschiedenen alten Schnüren zugebunden, und jede war mit einem anderen Knoten versehen. Alle drei Frauen lösten ihre jeweilige Schnur, dann klappte diejenige, die die Kiste geholt hatte, den Deckel auf.
    Am Boden der Kiste schimmerte etwas Goldenes.
    »Nicht mehr viel übrig«, seufzte die jüngste der Lilim, die schon alt gewesen war, als der Wald, in dem sie jetzt lebten, noch unter dem Meer gelegen hatte.
    »Dann ist es ja gut, daß wir Nachschub gefunden haben, was?« sagte die Älteste scharf und langte mit ihrer klauenartigen Hand in die Kiste. Etwas Goldenes versuchte ihrem Griff auszuweichen, aber sie fing das sich windende, schimmernde Ding ein, machte den Mund auf und stopfte es hinein.
    (Inzwischen starrten drei Frauen aus dem Spiegel.)
    Ein Zittern und Beben erschütterte die Hütte.
    (Nun blickten nur noch zwei Frauen aus dem Spiegel.)
    In der Hütte glotzten zwei alte Frauen eine große, attraktive Frau mit schwarzen Haaren, dunklen Augen und roten Lippen an. Der Gesichtsausdruck der alten Frauen zeigte ein Gemisch aus Neid und Hoffnung.
    »Herrje«, sagte die große Frau mit den schwarzen Haaren, »hier ist es aber dreckig.« Sie ging zum Bett, neben welchem eine große Holztruhe stand. Die Frau schob den ausgebleichten Gobelin, der die Truhe bedeckte, beiseite, öffnete die Truhe und begann darin herumzukramen.
    »Da ist es ja«, sagte sie und hielt ein rotes Gewand empor. Das warf sie aufs Bett und zog die Lumpen aus, die sie als alte Frau getragen hatte.
    Voller Neid ließen ihre beiden Schwestern die Blicke über ihren nackten Körper schweifen.
    »Wenn ich mit ihrem Herz zurückkehre, wird es jahrelang genug für uns alle geben«, sagte sie, während sie die haarigen Kinnladen und hohlen Augen ihrer Schwestern mißbilligend betrachtete. Sie streifte einen roten

Weitere Kostenlose Bücher