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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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wir jetzt? Wohin gehen wir?«
    »Wir gehen zur Elster«, antwortete Louisa. »Ich dachte, das wäre klar. Mister Bromios hat gesagt, du könntest sein Wohnzimmer benutzen. Da wartet nämlich jemand auf dich und will dich sprechen.« Mehr wollte sie nicht verraten. In der Kneipe erkannte Tristran eine ganze Reihe von Gesichtern, manche Gäste nickten ihm zu oder lächelten, manche nicht, als er neben Louisa durch die Menge schritt und dann die schmale Treppe hinter der Bar in den ersten Stock hinaufstieg. Die Holzdielen knarrten unter ihren Schritten.
    Louisa bedachte Tristran weiterhin mit wütenden Blicken. Doch dann begann plötzlich ihre Unterlippe zu zittern. Zu seiner großen Überraschung fiel sie Tristran um den Hals und drückte ihn so fest an sich, daß er kaum noch Luft bekam. Ohne ein weiteres Wort floh sie dann die Treppe hinunter.
    Tristran klopfte an die Tür zum Wohnzimmer und trat ein. Das Zimmer war mit einer Reihe ungewöhnlicher Objekte dekoriert, mit kleinen antiken Statuen und Tontöpfen. An der Wand hing ein Stock, der mit Efeu umwunden war – beziehungsweise mit einem dunklen Metall, das kunstvoll als Efeu geformt worden war. Abgesehen davon hätte es das Wohnzimmer eines x-beliebigen Junggesellen sein können, der viel zu tun hatte und selten Zeit fand zum Ausruhen. Es gab eine kleine Chaiselongue, einen niedrigen Tisch, auf dem ein abgenutztes, in Leder gebundenes Exemplar von Laurence Sternes Predigten lag, ein Klavier und mehrere Ledersessel. In einem davon saß Victoria Forester.
    Langsam und mit festen Schritten ging Tristran zu ihr und ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder, wie er es einst im Schlamm des Feldwegs getan hatte.
    »Oh, tu das bitte nicht«, sagte Victoria Forester unbehaglich. »Bitte steh auf. Setz dich doch. In den Stuhl da drüben, ja? So ist’s besser.« Die Morgensonne fiel durch die hohen Spitzengardinen und von hinten auf Victorias kastanienbraunes Haar, so daß ihr Gesicht wie von einem goldenen Kranz umrahmt war. »Sieh nur«, meinte sie, »du bist ja ein richtiger Mann geworden«, staunte sie. »Und deine Hand! Was hast du mit deiner Hand angestellt?«
    »Ich habe sie mir verbrannt«, antwortete Tristran. »In einem Feuer.«
    Zuerst sagte sie nichts dazu, sondern starrte ihn nur an. Dann lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück und sah auf den Stock an der Wand oder vielleicht auch zu einer von Mr. Bromios kleinen Statuen, und sagte: »Ich habe dir einiges zu sagen, Tristran, und es fällt mir nicht leicht. Ich wäre dir dankbar, wenn du mich nicht unterbrichst, bis ich fertig bin. Also. Das erste und vielleicht wichtigste: Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Meine Dummheit, meine Unbedachtheit hat dich in dieses Abenteuer getrieben. Ich dachte, du machtest Witze… nein, keine Witze. Ich dachte, du wärst zu feige, viel zu kindisch, um deinen großen Worten Taten folgen zu lassen. Erst als du weg warst, als die Tage vergingen und du nicht zurückkamst, da wurde mir klar, daß du es ernst gemeint hast, aber da war es natürlich zu spät.
    Jeden Tag habe ich mit der Angst gelebt, du würdest nicht zurückkommen und ich… ich hätte dich in den Tod geschickt.«
    Während sie sprach, starrte sie geradeaus, und Tristran hatte das Gefühl – und war sich bald sogar ganz sicher –, daß sie diese Rede während seiner Abwesenheit in Gedanken hundertmal geprobt hatte. Deshalb durfte er sie auch nicht unterbrechen. Für Victoria Forester war es schwer genug, diese Erklärung abzugeben, und sie würde es nicht schaffen, wenn irgend etwas sie von ihrem vorgefaßten Skript abbrachte.
    »Und ich war nicht fair zu dir, mein armer Ladenjunge… aber jetzt bist du ja gar keiner mehr, nicht wahr?… Da ich dein Versprechen als reine Albernheit ansah…« Sie hielt inne, und ihre Hände umklammerten die hölzernen Armlehnen ihres Sessels so fest, daß ihre Knöchel erst rot und dann weiß wurden. »Frag mich, warum ich dich in jener Nacht nicht küssen wollte, Tristran Thorn.«
    »Es war dein gutes Recht, mich nicht zu küssen«, entgegnete Tristran. »Ich bin nicht hergekommen, um dich traurig zu machen, Vicky. Ich hab’ den Stern für dich gefunden, ich möchte nicht, daß du Kummer hast.«
    Sie legte den Kopf schief. »Du hast also tatsächlich den Stern gefunden, den wir gesehen haben?«
    »O ja«, antwortete Tristran. »Der Stern ist noch auf der Wiese draußen. Aber ich habe getan, was du dir von mir gewünscht hast.«
    »Dann tu jetzt noch etwas für mich, bitte.

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