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Stevens, Chevy

Stevens, Chevy

Titel: Stevens, Chevy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Still Missing
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verschwand, als ich mich an das letzte Weihnachten erinnerte.
Glauben Sie mir, den ganzen Winter in einem Raum ohne Fenster, und der Begriff Hüttenkoller bekommt eine ganz neue Bedeutung. Und dann, etwa Mitte Januar letzten
Jahres, war ich im vierten Monat schwanger.
     
    Auf dem
Berg lebte ich für die Momente, in denen ich lesen konnte - der Psycho hatte
einen guten Geschmack -, und es machte mir noch nicht einmal etwas aus, ihm
laut vorzulesen. Während ich eine Seite nach der anderen umblätterte, war ich
irgendwo anders. Und er ebenso. Manchmal hielt er die Augen geschlossen, oder
er beugte sich zu mir, das Kinn auf die Hände gestützt und mit glühendem Blick,
und dann wiederum, bei den spannendsten Szenen, lief er im Raum herum. Wenn ihm
etwas gefiel, legte er die Hand aufs Herz und sagte: »Lies die Stelle noch
einmal.«
    Er fragte
mich immer, was ich über das, was wir gelesen hatten, dachte, aber am Anfang
zögerte ich, meine Vorstellungen offen zu äußern, und versuchte, seine Meinung
zu interpretieren. Bis er mir das Buch aus der Hand riss und sagte: »Komm
schon, Annie, benutz deinen hübschen Kopf und sage mir, was du denkst.«
    Wir lasen
gerade Die Herren der Insel - er
wechselte gerne Klassiker mit zeitgenössischen Romanen ab, und normalerweise
handelten sie von total verkorksten Familien -, und es ging um eine Szene, in
der die Mutter dem Dad Hundefutter zum Essen kocht.
    »Ich finde
es gut, dass sie ihn so hereinlegt«, sagte ich. »Er hat es verdient. Er ist ein
Arschloch.«
    Kaum hatte
ich die Worte ausgesprochen, geriet ich in Panik. Würde er glauben, ich spräche
von ihm? Und »Arschloch« war nicht besonders ladylike. Aber er nickte nur
nachdenklich und erwiderte: »Ja, er respektiert seine Familie nicht im
Geringsten, nicht war?«
    Als wir Von Mäusen
und Menschen lasen, fragte er, ob mir der »arme dumme Lennie« leid täte,
und als ich sagte, ja, in der Tat, erklärte er: »Nun, das ist interessant. Weil
das Mädchen eine Schlampe war? Ich dachte, du würdest dich eher an dem armen
Hündchen stören, das er getötet hat. Hätte Lennie auch dein Mitgefühl verdient,
wenn Curley ein nettes Mädchen gewesen wäre?«
    »Das hätte
nichts geändert. Er war vollkommen durcheinander - es war ja keine Absicht.«
    Er
lächelte und sagte: »Es ist also in Ordnung, jemanden umzubringen, solange man
es nicht absichtlich tut? Das muss ich mir merken.«
    »Das habe
ich nicht -«
    Er fing an
zu lachen und hielt eine Hand in die Höhe, während meine Wangen brannten.
    Mit den
Büchern ging der Psycho vorsichtig um - ich durfte sie niemals aufgeschlagen
umgedreht ablegen oder ein Eselsohr in eine Seite machen. Eines Tages, als ich
zusah, wie er einige Bücher sorgfältig zurück ins Regal stellte, sagte ich:
»Du musst als Kind eine Menge gelesen haben.« Sein Rücken versteifte sich, und
langsam liebkoste er den Einband des Buches, das er in der Hand hielt.
    »Wenn ich
die Erlaubnis dazu bekam.« Erlaubnis? Eine merkwürdige Formulierung, doch ehe
ich entscheiden konnte, ob ich genauer nachfragen sollte, fragte er: »Und du?«
    »Ständig.
Das war einer der Vorteile, wenn man einen Dad hat, der in der Bücherei
arbeitet.«
    »Da
hattest du Glück.« Er tätschelte die Bücher ein letztes Mal und verließ die
Hütte.
    Wenn er
herumlief und sich über einen Charakter oder die Verwicklungen des Plots
ausließ, war er so wortgewandt und leidenschaftlich, dass ich ganz davon
gefangen war und immer mehr meiner eigenen Gedanken preisgab. Er ermutigte
mich, meine Meinung darzulegen und zu verteidigen, und er flippte niemals aus,
selbst wenn ich ihm widersprach. Mit der Zeit begann ich, mich während der
literarischen Debatten zu entspannen. Wenn die Lesezeit vorbei war, waren
natürlich auch die einzigen Momente vorüber, die ich nicht fürchtete, die
einzige Aktivität, die ich genoss, das Einzige, bei dem ich das Gefühl hatte,
ein menschliches Wesen zu sein, ich selbst zu sein.
     
    Jeden
Abend lag ich im Bett, stellte mir vor, wie das Sperma des Psychos in mir
hinaufkroch, und bemühte mich, meine Eizellen zu verstecken. Da ich die Pille
genommen hatte, bis er mich entführt hatte, hoffte ich, dass mein Körper
genügend durcheinander war und ich befreit würde, ehe ich schwanger wurde. Aber
ich hatte auch gedacht, dass ich meine Periode bekäme, sobald ich die Pille
absetzte, doch das geschah erst eine Woche, nachdem er es endlich geschafft
hatte, mich zu vergewaltigen.
    Eines
Morgens standen wir unter

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