Stiefbruder - Liebe meines Lebens
über Jakobs Rückansicht gleiten. Er saß steif und angespannt da und ich stellte ein weiteres Mal fest, wie sehr ich ihn liebte und wie verdammt heiß er in diesem blaugrauen Anzug aus sah.
„Er wird doch gelegentlich eine Frau mitbringen – oder einen Kerl“, führte Claudia ihre Mutmaßungen fort, um dann meinem Blick zu folgen und Jakob zu betrachten.
„Das geht mich nichts an“, murmelte ich und hoffte, damit würde sie die Sache auf sich beruhen lassen. Falsch gedacht.
„Ach komm schon, ist er nun schwul oder nicht? Ich bin mir ziemlich sicher – spätestens, seit er diesen Ohrring trägt. Ist das nicht ein Code oder so etwas?“
„Keine Ahnung“, sagte ich leise und wandte mich ab, um die schlichte Architektur zu bewundern.
„Ich könnte schwören, dass er jemanden hat. Zumindest ist er seit einiger Zeit wieder richtig gut drauf. Also los, Clemens, rück' schon raus damit, du weißt es bestimmt! Wer ist es?“, bohrte sie weiter nach.
„Warum fragst du ihn nicht selbst?“, entgegnete ich ungehalten.
„Weil er nichts sagt und nur blöd grinst, wenn ich ihn frage.“
Jetzt musste ich auch blöd grinsen, konnte nicht anders.
„Ach so?“, wisperte ich betont teilnahmslos.
„Wenn er nichts sagt ist es kein Wunder, dass
alle
glauben, er ist schwul“, gab sie beleidigt von sich.
„
Alle
?“, stieß ich entsetzt hervor, und als könnte ich das den Leuten von der Stirn ablesen, warf ich einen gehetzten Blick zurück zu den voll besetzten Stuhlreihen.
„Also doch“, rief Claudia so laut, dass sich nicht nur die halbe Hochzeitsgesellschaft nach uns umdrehte, sondern auch das Brautpaar und die Trauzeugen. Offenbar sah sie in meiner übertriebenen Reaktion eine Bestätigung ihrer Vermutung. Meine Wangen glühten, leuchteten bestimmt rot vor schriller Verlegenheit. Jakob grinste amüsiert, er hatte ja keine Ahnung, und drehte sich wieder nach vorn. Ich senkte den Blick und drehte nervös den silbernen Ring an meinem Finger. Jakob hatte ihn mir zu unserem ersten Jahrestag geschenkt und trug selbst den gleichen. Das war nun drei Wochen her.
„Sag schon“, drängte Claudia weiter, diesmal aber immerhin in verschwörerischem Flüsterton, „Hat er einen festen Freund? Wie sieht er aus? Ist er hübsch? Oder vögelt Jakob einfach nur wild in der Gegend herum?“ Sie kicherte über ihre eigene Mutmaßung.
„Von mir erfährst du garantiert nichts“, brummte ich, „Also hör jetzt auf, bitte!“
Der Standesbeamte betrat den Raum, begrüßte das Brautpaar, die Trauzeugen, die anwesenden Hochzeitsgäste.
„Du kannst ihm ausrichten, dass er mir ruhig sagen kann, dass er schwul ist, ich bin keine bornierte Schnepfe!“, zischte Claudia während der Rede des Beamten.
„Sag ihm das selbst“, gab ich flüsternd zurück.
„Ich finde es unfair, dass er sich dir anvertraut, mir aber nicht. Immerhin bin ich seine Schwester. Seine
richtige
Schwester!“, raunte sie. Ich beschloss, darauf nicht einzugehen und mich dafür auf die Rede zu konzentrieren. Was mir nicht gelang. Hatte ich mit meiner verdächtigen Reaktion Jakob geoutet? Das würde ihm nicht gefallen, ganz und gar nicht!
„Ich hab
auch
Gefühle! Glaubt nicht, dass mich das nicht verletzt, wenn ihr mich ausschließt“, kam Claudia offenbar gerade so richtig in Schwung. Warum musste das ausgerechnet
jetzt
sein? Während der Zeremonie? Ich bemühte mich, sie zu ignorieren und tat besonders konzentriert.
„Als du damals weggezogen bist, hab ich mich insgeheim gefreut, weil ich dachte, jetzt hab ich meinen Bruder wieder für mich. Aber obwohl wir unter einem Dach wohnten, hatte ich das Gefühl, er wäre fünfhundert Kilometer weit weg. Gott, ich hab dich eine Zeit lang richtig gehasst dafür!“, gestand Claudia. Wow.
„Das tut mir leid“, flüsterte ich, „Das hab ich nicht gewusst!“
„Schon okay“, winkte sie ab, „Das ist längst vorbei. Aber es macht mich traurig, dass mich Jakob noch immer nicht an seinem Leben teilhaben lässt – du weißt mehr von ihm als ich, obwohl du
nur
sein Stiefbruder bist.“
Das Brautpaar gab sich das Ja-Wort, und danach setzten sie und die Trauzeugen unter Blitzlichtgewitter Unterschriften auf die Dokumente. Kurz danach wurde gratuliert und heilfroh, aus Claudias' Verhör zu entkommen, stellte ich mich zu Jakob und half ihm, dem Brautpaar die Berge an Blumen abzunehmen, die diesem überreicht wurden.
Als wir die Pflanzen später im Kofferraum verstauten nutzte ich die Gelegenheit seine Hand
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