Stiefkinder der Sonne
ist.“
„Du hast Durst gehabt“, sagte Greville und schaute auf die leere Flasche. „Ich hole dir noch etwas.“
„Nein, bleib bei mir. Wenn ich mich besaufe, ist das auch keine Antwort … Weißt du, ich bin eigentlich schon in Ordnung. An so etwas bin ich ja eigentlich gewöhnt, aber normalerweise ist es nicht so anstrengend … Ich habe genug Zeit hier in der Wanne verschwendet. Du kannst mir hier heraushelfen.“ Sie kicherte wieder. „Dann kannst du mir was von der Babycreme zwischen die Beine schmieren, ich glaube, ich kann mich selbst nicht weit genug bücken.“
Greville trocknete sie ab und trug die Creme auf. Dann half er ihr beim Anziehen. Als er ihr Schuhe und Strümpfe anzog, hörten sie das Geräusch eines startenden Autos. Greville stürzte aus der Kneipe und kam gerade noch zurecht, um den Landrover wegfahren zu sehen. Eines von den Mädchen winkte ihm von hinten fröhlich zu, und dann wurde der Wagen schneller und bahnte sich einen Weg durch den Löwenzahn, den Fingerhut und die hohen Nesseln des Hochsommers.
Greville stand noch einige Zeit da, kratzte sich am Kopf, fühlte sich perplex und sah dem Landrover nach, der in der Ferne verschwand. Dann erstarb das Geräusch, und es blieb nichts als der Himmel und die Felder, die so wild wie eine Prärie geworden waren und unter der leichten Berührung einer Brise wie ein grünes Binnenmeer schwankten.
Liz humpelte aus der Kneipe. „Sieh mal. Ich kann wieder laufen … Was ist los?“
„Pater Jack hat sich abgeseilt“, sagte Greville. „Er scheint es verdammt eilig zu haben.“
Als sie zu dem Lieferwagen kamen, fanden sie einen möglichen Grund für Pater Jacks Eile. Sie hatten alles herausgeholt – alles, was Greville in London gefunden hatte, dazu die Gewehre und die Munition, die er dem verstorbenen Nibs und seinen Kameraden abgenommen hatte, alles außer zwei Schrotgewehren und zwanzig Patronen.
Auf dem Fahrersitz lag ein Zettel, auf den eine kurze Nachricht gekritzelt war:
Für geleistete Dienste. Ich bin sicher, ihr hättet nichts dagegen gehabt, aber warum einen Streit riskieren? Beste Grüße an die werte Freundin. Der Herr wird für euch sorgen.
Greville fühlte sich wie ein elender Trottel und ärgerte sich zur gleichen Zeit. Liz aber fing an zu lachen.
„Herrgott noch mal!“ sagte sie hilflos. „Dem Klerus kann man einfach nicht vertrauen … Weißt du was, Greville? Ich glaube, das ist ein Transie nach meinem Geschmack.“
Und plötzlich lachte Greville auch.
10
Die Verzögerung durch die Begegnung mit Nibs und seiner Bande und durch die zusätzliche Zeit, die Liz für ihr Bad gebraucht hatte, machte es Greville unmöglich, den Heimweg nach Ambergreave und zu seinem Haus vor Einbruch der Dunkelheit zu schaffen. Nachdem sie sich beide von der hastigen Abreise von Pater Jack erholt hatten, machte es Greville Liz in dem Wagen bequem, setzte sich selbst hinter das Steuer und warf den Motor an.
„Jetzt halten wir nicht mehr an“, sagte er grimmig. „Für niemanden und nichts.“
„Was ist, wenn jemand die gleiche Idee hat wie diese schlauen kleinen Saukerle?“
„Wir halten nicht an. Wir fahren darum herum oder hindurch. Wenn wir das beides nicht schaffen, ist es mit uns so oder so aus. Zwei Schrotgewehre sind kein besonders großes Arsenal.“ Er setzte das Auto in Bewegung, warf noch einen schnellen letzten Blick zur Anglers Ruh und fuhr dann in den Spuren los, die Pater Jacks Landrover in die verkrautete Straße geschnitten hatte. Er dachte, wenn er Gas geben würde, hätte er eine gute Chance, den Landrover ziemlich bald einzuholen. Er hatte aber keine Lust, ihn einzuholen. Was Pater Jack sich auch genommen hatte, er hatte es verdient.
Also ließ Greville seinen Lieferwagen in mäßiger Geschwindigkeit fahren und war zutiefst dankbar, daß Liz und er noch am Leben waren. Nach einiger Zeit stellte er erfreut fest, daß Liz eingenickt war. Sie lag wie ein kleines Mädchen, das nach einem großen Fest übermüdet ist, auf ihrem Sitz.
Und was für ein Fest, dachte Greville. Es war ein Bombenerfolg gewesen. Er fing an zu schwitzen, als er daran dachte, wie knapp sie beide einem dummen – und erbärmlichen – Ende entkommen waren. Auf der anderen Seite, dachte er, ist jeder Tod erbärmlich. Man konnte an Krebs sterben, an einem Unfall, an Altersschwäche, Fettsucht, Alkoholismus (wenn man Glück hatte), Hunger, Blinddarmentzündung, Ratten, Katzen, Hunden, Krankheiten oder an Kugeln. Was es auch immer
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