Stille mein Sehnen
speiübel. Das widerwärtige Grinsen kroch ihr wie Säure über die Haut, und für ein paar Sekunden war sie nicht in der Lage, einen einzigen Ton über die Lippen zu bringen.
„Als ich dich gestern im Club sah, traute ich meinen Augen kaum. Keine Frau hat mich je so angeturnt wie du. Ich will dich noch einmal.“
Woher sie die Kraft nahm, ihre Stimme ruhig und gefasst klingen zu lassen, war ihr ein Rätsel. In ihrem Inneren tobte ein Orkan aus Gefühlen. Ekel stieg ihr die Kehle hinauf.
„Ich bin nicht zu haben. Kümmere dich um deine anderen Gäste.“
„Das erledigen meine Angestellten. Ich plaudere lieber mit dir. Wen muss ich diesmal bezahlen? Aidan? Oder ist Luca dein Zuhälter? Ich habe gesehen, wie du ihn anschmachtest.“
In ihrem Kopf drehte sich alles. Faith schmeckte Galle auf der Zunge. Zuhälter? Wovon zum Henker sprach der Kerl? Hatte Karl sie an ihn verkauft? Sie wollte weg – auf der Stelle. Wenn sie diesen Typen auch nur eine weitere Minute ertragen musste, würde sie sich quer über den Tisch übergeben. Abrupt stand sie auf. Der Stuhl wäre beinahe hinter ihr umgekippt. Blitzschnell hielt der widerliche Kerl sie am Arm fest.
„Wo willst du hin, Faith? Tu nicht so, als hätte es dir keinen Spaß gemacht.“
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Er zuckte tatsächlich zusammen.
„Prüderie steht dir nicht. Du wolltest es hart und brutal. Ich konnte es erst nicht glauben, als Karl mir das sagte, aber du hast dein Safeword nicht benutzt.“
„Es gab kein Safeword, und jetzt lass augenblicklich meinen Arm los.“
Ein leichtes Flackern in den Augen sagte ihr, dass er das nicht gewusst hatte. Entband ihn das von der Schuld? Nein! Dieser Kerl hatte in einer Nacht alle Abgründe der sexuellen Fantasie erlebt, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, dem Master Einhalt zu bieten.
In diesem Moment dachte sie an den Club und wünschte sich dorthin. Da gab es Regeln und ein Safeword – Sicherheit!
„Ich rate dir davon ab, den Club noch einmal zu betreten. Vielen Mitgliedern werden deine Vorlieben nicht gefallen.“
Auf keinen Fall würde sie die Geschehnisse dieser Nacht im Club öffentlich machen, aber das brauchte er nicht zu wissen. Hauptsache, sie musste ihn nie wieder sehen. Dieses Café würde sie ihr Lebtag nicht mehr betreten.
Auf dem Weg zu ihrer Wohnung drehte sie sich fortwährend um, beobachtete die Menschen hinter sich. Schiere Angst jagte ihr durch die Adern. Erst als sie die Wohnungstür zweimal abgeschlossen hatte, fühlte sie sich einigermaßen sicher.
Es war bereits Mittag, und erschöpft fiel sie ins Bett. Unruhig und gereizt wälzte sie sich von einer Seite auf die andere. Schloss sie die Augen, traten ihr die verhassten Bilder vor Augen. Sie hätte vor Wut heulen mögen. Sechs Jahre lang hatte sie die Erinnerungen erfolgreich verdrängt, jetzt spulte sich jede Sekunde dieser Nacht in ihrem Kopf ab. Zwischen Übelkeit, Kopfschmerzen und brennenden Augen hin- und hergerissen, warf sie sich pausenlos von einer Seite auf die andere. Nach vier Stunden Rumwälzen, mehr wach als schlafend, stand sie auf und tapste völlig erschlagen ins Bad.
Sie ließ Wasser in den Jacuzzi laufen und putzte sich währenddessen die Zähne. Als sie sich im Spiegel betrachtete, sahen ihr leere, traurige Augen entgegen. Diesen Blick kannte sie. Vor sechs Jahren hatte sie ebenso verzweifelt ausgesehen. Abermals stieg Wut in ihr auf, diesmal jedoch auf sich selbst. Sie hasste es, das Opfer zu sein. Es musste einen Weg geben, endlich mit der Vergangenheit abzuschließen.
Die Frau, die sie aus dem Spiegel ansah, war nicht mehr das fünfundzwanzigjährige Mädchen, dass zitternd und verängstigt in den Fängen eines sadistischen Mannes Erfüllung suchte. Heute wusste sie, was sie wollte. Vor allem wusste sie, was sie nicht ertragen konnte. Sie würde diese Angst abschütteln und sich nicht mehr von ihr einschüchtern lassen. Karl war Vergangenheit! So schrecklich diese Erinnerungen waren, sie machten sie zu der, die sie heute war. Faith Evans war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die sich leider auf die falschen Männer einließ. Das würde ihr kein weiteres Mal passieren. Sie würde ihr Leben leben, sich eine eigene Bar aufbauen und sich nie wieder einem Mann unterwerfen.
Als sie diesen Entschluss fasste, sah sie Luca vor sich, sein verzagtes Lächeln, wenn er sie beobachtete und dachte, sie merke es nicht. Nein! Dieser Mann war viel zu gefährlich, als dass sie sich auf ihn einlassen
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