Stille Nacht
Polizeibeamten entgegensah.
Laut unseren Quellen geht man bei der Polizei davon aus, daß er
möglicherweise vorhat, sich mit seiner Freundin Paige Laronde
in Mexiko zu treffen. Ein großes Polizeiaufgebot überwacht
Flughäfen, Bahnhöfe und Bushaltestellen. Fast drei Jahre ist es
mittlerweile her, daß Siddons, der sich nach einem bewaffneten
Raubüberfall auf der Flucht befand, Officer William Grasso, der
ihn wegen eines Verkehrsdelikts angehalten hatte, tödlich
verletzte. Siddons ist mit Sicherheit bewaffnet und sollte als
extrem gefährlich eingeschätzt werden.«
Während der Moderator sprach, wurden Jimmy Siddons’
Fahndungsfotos eingeblendet.
»Er sieht gemein aus«, stellte Michael fest, als er die kalten
Augen und höhnische n Lippen des entflohenen Häftlings
betrachtete.
»Das tut er allerdings«, stimmte ihm Barbara Cavanaugh zu.
Dann blickte sie ihrem Enkel ins Gesicht. »Mike, warum machst
du nicht die Augen zu und ruhst dich ein bißchen aus?« schlug
sie vor.
Er schüttelte den Kopf. »Ich will nicht schlafen gehen.«
Es war eine Minute vor elf. Der Nachrichtenkommentator
sagte soeben: »Zum aktuellen Stand im Fall des siebenjährigen
Brian Dornan, der seit kurz nach fünf Uhr heute nachmittag
vermißt wird, gibt es derzeit nichts Neues zu melden.«
»An diesem ganz besonderen Abend«, fügte er noch hinzu,
»bitten wir sie, auch weiterhin dafür zu beten, daß Brian
wohlbehalten zu seiner Familie zurückgebracht wird, darüber
hinaus wünschen wir Ihnen und all Ihren Lieben ein sehr
fröhliches Weihnachten.«
In einer Stunde ist Weihnachten, dachte Catherine. Brian, du
mußt wiederkommen, du mußt einfach gefunden werden. Du
mußt morgen früh bei mir sein, wenn wir Dad besuchen gehen.
Brian, komm zurück. Bitte komm zurück!
Die Tür des Aufenthaltsraums wurde geöffnet. Winick führte
einen großen Mann von Ende Vierzig herein, gefolgt von
Officer Manuel Ortiz. »Detective Rhodes möchte mit Ihnen
sprechen, Mrs. Dornan«, erklärte Winick. »Ich bin draußen, falls
Sie mich brauchen.«
Catherine sah den ernsten Ausdruck in den Mienen von
Rhodes wie Ortiz und war wie gelähmt vor Entsetzen. Sie war
nicht in der Lage, sich zu bewegen oder zu sprechen.
Sie begriffen, was sie dachte. »Nein, Mrs. Dornan, das ist es
nicht«, beeilte sich Ortiz zu sagen.
Rhodes übernahm jetzt. »Ich komme aus dem Präsidium, Mrs.
Dornan. Wir haben Informationen über Brian, aber lassen Sie
mich zunächst sagen, daß er nach allem, was wir wissen, am
Leben und unverletzt ist.«
»Wo ist er denn dann?« preschte Michael vor. »Wo ist mein
Bruder?«
Catherine hörte zu, während Detective Rhodes die Sache mit
dem Portemonnaie erklärte, das eine junge Frau aufgehoben
habe, die wiederum die Schwester des entkommenen Häftlings
Jimmy Siddons sei. Catherines Verstand wollte nicht
akzeptieren, daß Brian von dem gemeinen Mörder entführt
worden war, dessen Gesicht sie eben erst auf dem
Fernsehschirm gesehen hatte. Nein, sagte sie sich, nein, das
kann einfach nicht sein!
Sie wies auf den Bildschirm. »Es wurde doch gerade
berichtet, daß der Mann vermutlich nach Mexiko unterwegs ist.
Brian ist vor sechs Stunden verschwunden. Er könnte schon jetzt
in diesem Moment in Mexiko sein.«
»Bei uns in der Zentrale nehmen wir diese Geschichte nicht
ernst«, klärte Rhodes sie auf. »Wir glauben, daß er nach Kanada
will, wahrscheinlich in einem gestohlenen Wagen. Wir
konzentrieren die Suche in dieser Richtung.«
Plötzlich konnte Catherine keine Empfindung mehr spüren.
Es war wie damals, als sie im Kreißsaal war und die Spritze
bekam und mit einemmal der ganze Schmerz wie durch ein
Wunder weg war. Und sie hatte aufgeblickt und gesehen, wie
Tom ihr zuzwinkerte. Tom, immer für sie da. »Fühlt sich schon
besser an, oder, Babe?« hatte er gefragt. Und ihr Kopf, nun
nicht mehr vor Schmerzen ganz benommen, war so völlig klar
geworden. Genauso war es auch jetzt. »In was für einem Wagen
sind sie denn unterwegs?«
Rhodes sah verlegen aus. »Das wissen wir nicht«, sagte er.
»Wir können nur vermuten, daß er in einem Auto unterwegs ist,
aber wir sind ziemlich sicher, daß die Vermutung zutrifft. Wir
haben jeden State Trooper in ganz New York und Neuengland
auf die Fahndung nach einem Mann angesetzt, der mit einem
kleinen Jungen unterwegs ist, der eine Christophorus-Medaille
um den Hals hat.«
»Brian hat die Medaille um?« rief Michael aus. »Dann
passiert ihm auch
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