Stille Seele (German Edition)
ihm.
„Was denn, Herrgott noch mal!“
Selbst sein Fluchen klang irgendwie herzlich. Jakob schmunzelte. „Du wolltest, dass ich dich nach Hause fahre. Stan, es ist zu kalt, um hier zu schlafen.“ Es stimmte. Es war bereits Oktober und die Temp eraturen, die der Jahreszeit zuwider tagsüber noch irritierend warm waren, fielen nachts bereits auf weit unter Null Grad. Jakob hatte sich seinen dicken Fleece-Pullover übergezogen, als sie den Verkaufsstand verlassen hatten, und dennoch fröstelte es ihn. Unwillig dachte er daran, dass er im Gegensatz zu Stan sehr wohl im Auto würde schlafen müssen, und dass seine dicke Jacke zusammen mit seinen übrigen Sachen in Williams Bar lag. „Gibst du mir den Schlüssel?“ Er streckte herausfordernd die Hand aus und schnappte sich den Schlüssel, den Stan unter erheblicher Anstrengung und einigen Flüchen aus seiner Hosentasche beförderte. Als er auf der Fahrerseite einstieg, war Stan bereits wieder eingeschlafen. Nochmals rüttelte Jakob an seiner Schulter. „Ich brauche deine Adresse, Stan.“
Verständnislos sah Stan ihn an und Jakob legte ihm den Arm auf die Schulter. „Ich muss wissen, wo ich dich hinbringen soll!“
„Einfach geradeaus und am Gemeindezentrum links. Ist das fünfte Haus auf der rechten Seite. Hellblau. Ein wunderschönes Haus!“ Er lächelte und tippte Jakob dann an. „Du bist ein guter Kerl. Stehst zu deinem Wort, das finde ich gut!“ Er lallte undeutlich. Sofort schlossen sich seine Augen wieder und selbst, als Jakob ihn halb hievend, halb schleifend in sein Haus trug, öffnete er sie nicht wieder. Jakob war nur froh, dass er mithalf, indem er seine Beine bewegte. Ansonsten hätte er den Koloss von Mann niemals bewegt bekommen. Er legte Stan auf die Couch, deckte ihn mit einer zerschlissenen Wolldecke zu, die über einem der Küchenstühle hing, und schloss dann leise die Haustür hinter sich.
4. Oktober 2005, Marble Hills, Stanley Robbets Haus
Irgendetwas pochte in Jakobs Kopf. Ein Hämmern, das stetig lauter wurde und in seinem von unruhigem Schlaf zermürbten Körper dröhnte. Irritiert schreckte Jakob vom Beifahrersitz des Pickups hoch. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Es musste schon später Vormittag sein. Die halbe Nacht hindurch hatte er sich auf dem unbequemen Sitz in Stans Auto hin- und hergewälzt, und das beständige Zittern seines Körpers unter zwei dicken Pullovern hatte auch nicht geholfen, in einen erholsamen Schlaf zu sinken. Irgendwann musste er völlig erschöpft eingeschlafen sein und die Vormittagssonne, die den Innenraum angewärmt hatte, hatte dafür gesorgt, dass er noch immer schlief, obwohl er bereits vor dem Morgen hatte gehen wollen. Jetzt stand Stan neben dem Wagen und klopfte unbeirrt gegen die Fensterscheibe. Jakob versuchte schmatzend, den pelzigen Geschmack in seinem Mund zu vertreiben, und öffnete die Tür einen Spaltbreit.
„Was machst du in meinem Auto?“ Stan sah in fragend an. Sein Blick war wieder klar, wenn er auch etwas zerknautscht wirkte.
„Tut mir leid, ich war zu müde, um gestern noch zurück zur Bar und in ein Motel zu gehen!“ Jakob blinzelte verschlafen in das helle Tageslicht.
Stans Stimme rollte donnernd über ihn hinweg. „Und dann schläfst du einfach in meinem Wagen?“
„Ich sagte doch schon, es tut mir leid!“ Jakob konnte nichts dagegen tun, dass seine Stimme wütend und kindlich bockig klang. Mürrisch quetschte er sich aus der Tür und an Stan vorbei. Er bemühte sich, seiner Stimme einen ruhigen Ton zu verleihen. „Tut mir ehrlich leid.“ Dann stieg er über den schmalen Kantenstein auf die Rasenfläche und durchquerte den Vorgarten, um in Richtung Stadtmitte zu verschwinden.
Stan ließ nicht locker und rief hinter ihm her: „Glaubst du allen Ernstes, ich hätte Lust, deine steifgefrorene Leiche aus meinem W agen zu ziehen? Es friert und du schläfst hier draußen, anstatt bei mir zu übernachten.“ Er klang ehrlich beleidigt und brachte Jakob dazu, innezuhalten und sich zu ihm umzudrehen.
Er blinzelte gegen die Sonne zu Stan herüber und verzog das G esicht zu einer schiefen Grimasse. „Ist nett, aber nicht nötig! Ich werde meine Sachen bei William abholen und dann weiterziehen!“
„Ich dachte, du wolltest bleiben? Ich meine, vorerst?“ Stan kam langsam über den Rasen zu ihm herüber.
„Ich weiß, das
Weitere Kostenlose Bücher