Stille Seele (German Edition)
Frieden hier draußen!“ Jakob machte eine ausladende Handbewegung, die seine gesamte Umgebung einschloss. „Menschenmengen mag ich weniger.“ Jakob dachte an das Adrenalin, das beständig durch seine Adern pulsierte, wenn er den Menschenmassen in der Bar ausgesetzt war. Er konnte nichts dagegen tun, dass er ständig die Lage sondierte und sich seine Muskeln schmerzhaft verkrampften, um bereit für einen eventuellen Angriff zu sein. Neben der Anstrengung, den Schein au frechtzuerhalten, fügte er sämtliche eingehenden Informationen zusammen, um die Lage bei einer wenig wahrscheinlichen Eskalation richtig einschätzen zu können, und hatte beim Feierabend regelmäßig Kopfschmerzen von der Überbelastung. Die immer noch andauernden, massiven Schlafstörungen taten ihr Übriges. Julies neckende Stimme beendete seine Gedanken.
„Du arbeitest in einer Bar!“ Sie lächelte ihn nachsichtig an.
Er zuckte mit den Achseln und grinste schief. „Mach mal die Augen zu und hör einfach nur hin.“ Zu seinem Erstaunen tat sie es tatsächlich, ohne eine zynische Bemerkung von sich zu geben. Ihr hübsches, ebenmäßiges Gesicht entspannte sich und ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen.
„So fühlt sich für mich völliger Frieden an. Das findest du in keiner Bar der Welt!“ Lächelnd und ohne Vorwarnung sprang er auf die Bohlen des Holzstegs, was den Steg gefährlich ins Schwanken brac hte. Um ein Haar wäre Julie gefallen, klammerte sich aber im letzten Moment an Jakob fest und schnappte quietschend nach Luft.
„Und das ist was genau?“ Sie sah ihn strafend an und Jakob erw iderte ihren Blick mit einem frechen Grinsen.
„Das, meine Liebe, ist Spaß!“ Er sprang ein weiteres Mal hoch und brachte den Steg zum Schwanken.
Julie lachte und sprang ebenfalls hoch. Der Steg schwankte und wackelte so sehr, dass eiskaltes Wasser auf ihre Kleidung spritzte und sie nach Luft schnappte. Es störte Jakob nicht. Er sah nur Julies ausgelassenes Gesicht, erinnerte sich an die vielen Male, als er genauso mit Paul herumgesprungen war und sein Vater dabei wütend geschimpft hatte, sie würden ihm alle Fische vergraulen. Für den Moment fühlte er sich so frei wie seit Jahren nicht mehr.
Atemlos ließen sie sich wenig später auf den Steg fallen und schnappten noch immer lachend nach Luft. Sie legte ihm vertraut ihre Hand auf die Brust und gerade diese Vertrautheit riss Jakob zurück in die Realität. Er setzte sich abrupt auf und umschlang seine Knie mit den Armen. Dann stützte er sein Kinn auf die Unterarme und starrte auf den See hinaus.
„Mein Bruder Paul und ich haben das früher oft gemacht!“ Ohne darüber nachzudenken, hatte er den Namen seines Bruders Urdeutsch betont, genau wie seine Mutter es immer getan hatte, und entlockte Julie damit ein verwundertes Lächeln.
„Paul?“ Ihr Versuch, es genauso auszusprechen wie er, scheiterte kläglich.
„Meine Mom ist eine Deutsche!“ Er zuckte scheinbar gleichgültig mit den Achseln.
Julie ging nicht näher darauf ein. „Du hast ‘nen Bruder?“ Dieser Umstand schien sie mehr zu interessieren als seine Herkunft. Vorsic htig setzte sie sich neben ihn und blinzelte fragend in seine Richtung.
„Paul, er ist älter als ich. Fast sechs Jahre, und Sarah. Sie ist fast zwanzig.“
„Du hast nie über sie gesprochen. Euer Verhältnis ist nicht so gut?“
Jakob zuckte mit den Achseln und biss trotzig die Lippen aufeina nder. „Doch, sie sind toll. Ich liebe sie!“
„Wo sind sie?“
„Zuhause in Montana!“
„Warum erzählst du nie von dort? Du bist jetzt seit über einem ha lben Jahr hier. Du isst jeden Morgen nach der Arbeit mit uns und hast nie etwas über deine Geschwister oder deine Eltern erzählt. Über dein Leben dort. Über dich!“
Wieder zuckte Jakob mit den Achseln. „Es ist nicht interessant!“
„Vielleicht schon!“ Nachdenklich fuhr Julie die Maserung des Holzes mit ihren Fingerspitzen nach. „Es würde vielleicht erklären, wieso du manchmal so merkwürdig bist!“ Unsicher lachte sie auf, bevor sie fortfuhr. „Bist du das schwarze Schaf der Familie? Du hast sie nicht einmal angerufen, seitdem du hier bist!“
„Woher willst du das wissen?“
Julie grinste schief. „Ich arbeite seit über sechs Jahren mit den Kindern im Zentrum. Camilla sitzt am Empfang, dort sind die einzigen Münzfernsprecher, und wir reden miteinander.“
„Ich könnte vom Motel aus telefoniert haben!“
„Hast du?“
Jakob antwortete nicht, sondern starrte über
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