Stille Seele (German Edition)
meinen Kindern aber kaum erklären, warum ein fremder Mann auf dem Boden vor unserer Tür hockt, also komm mit rein und ich stelle dich vor.“ Vorsichtig zupfte sie an seinem Ärmel. „Kannst du eigentlich singen?“
„Ich weiß nicht?“
„Du weißt nicht, ob du singen kannst?“ Julie zog skeptisch ihre Augenbrauen nach oben, während Jakob ihr in den Kursraum folgte.
„Kinder, das ist Jakob. Ein Freund von mir. Er hat uns gehört und wollte uns ein wenig Gesellschaft leisten. Sagt hallo Jakob!“
Ein mageres „Hallo Jakob“, aber dafür umso neugierigere Blicke trafen Jakob, der verlegen nickte und die Hand zur Begrüßung hob.
„Ihr könnt gerne Jay zu mir sagen!“ Etwas unsicher stand er in der Mitte des Raums und erblickte dann Ben, der von der Toilette zurück war. „Darf ich mich zu dir setzen, Ben?“
Er nickte begeistert und Jakob war froh, dass bereits die ersten A kkorde zu hören waren und damit die Aufmerksamkeit nicht mehr ausschließlich auf ihm lag.
Eine Stunde später waren alle Kinder abgeholt oder allein nach Hause gegangen, nicht ohne eine Ermahnung von Julies Seite, vo rsichtig zu sein.
„Du bist sehr vorsichtig mit den Kindern!“
Julie ging nicht auf seine Anspielung wegen ihrer ständigen Sicherheitsbelehrungen ein. „Jay also?“ Sie lächelte spöttisch.
„Hast du gedacht, dass jeder mich Jakob nennt? Was ist so schlimm an Jay?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Gar nichts. Es passt irgendwie, und irgendwie auch nicht!“
„Von welchem Namen ist Julie die Abkürzung?“
„Was? Nein, mein Lieber, du überschreitest deine Kompetenzen!“
Jakob trat dicht an sie heran. „Jetzt sag schon. Du weißt, dass meine Freunde mich Jay nennen. Es ist nur fair, wenn ich weiß, wie du wir klich heißt!“
„Du hast also doch Freunde?“
Betreten senkte Jakob den Blick. „Ich hatte Freunde, ja, und jetzt lenk nicht ab!“ Er grinste schelmisch.
„Julietta!“ Sie lachte unsicher. „Meine Mom hat Shakespeares R omeo and Juliet geliebt. Sie fand, dass es noch exotischer und eleganter klänge, wenn man die italienische Fassung Julietta nähme.“ Umständlich verstaute sie ihre Gitarre in der Tasche. „Ich finde es grässlich!“
Jakobs Stimme klang rau. „Ich finde den Namen sehr schön.“ Er senkte den Blick und fügte hinzu: „Deine Mutter scheint eine tolle Frau gewesen zu sein.“
„Ja!“ Julie wirkte traurig und unsicher.
„Was ist mit ihr passiert?“ Mit einem sanften Druck legte Jakob ihr seine Hand auf den Arm.
„Sie ist gestorben, aber das ist lange her!“
„Das tut mir leid!“
„Ich weiß, aber das ändert nichts, oder?“
„Nein, aber ich wünschte ehrlich, ich könnte es ändern!“
Sie blinzelte ihn irritiert an. „Danke! Ist schon okay. Es ist ewig her!“ Nervös strich sie sich einige Locken aus dem Gesicht. „Ich muss jetzt abschließen, sonst kriege ich noch Ärger, wenn ich überziehe.“
Jakob bemerkte ihre Unsicherheit und wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er war noch nie besonders gut darin gewesen, Me nschen mit Problemen zu helfen. Connors Gesicht blitzte vor seinem inneren Auge auf. Die blasse, kalte Haut, als Jakob ihn das letzte Mal in den Armen gehalten hatte.
„Ja, meine Wäsche wartet auch. Wir sehen uns später bei der Arbeit!“ Unschlüssig nahm er seine Hand von ihrem Arm und ging.
„Jay?“
Auf halbem Weg zur Tür drehte er sich um. „Ja?“
„Wenn du möchtest, kannst du nächste Woche gerne wiederkommen. Die Kinder fanden dich toll und um das klarzustellen: Du kannst singen. Es reicht nicht für einen Plattenvertrag, aber deine Stimme klingt ganz brauchbar!“
„Danke! Und ich komme gerne wieder!“ Unbeholfen klopfte er gegen den hölzernen Türrahmen und verschwand dann.
23. April 2006, Marble Hills
„Guten Morgen, Stan.“ Jakob lief über den Rasen und erreichte Stan, der pikiert die durchfeuchteten Überreste seiner Zeitung betrachtete. Es war idiotisch, im rückwärtigen Teil des Gartens aufzuwachen, hinter den Gärten der Nachbarn zur Hauptstraße zu laufen, nur um über die Straße zurück zur Vordertür zu gehen, wenn er Stan einen Besuch abstatten wollte. Aber alles andere wäre zu auffällig gewesen.
„Hi, Jakob!“ Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck warf er die Zeitung in die Mülltonne rechts von der Haustür. Sein Gesicht glättete sich und der gutmütige Ausdruck darauf trat wieder zutage. „Hast du Lust, mit mir
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