Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
paarmal herum, spendierten der Kapelle Getränke, was alles lächerlich wenig kostete, und dann luden wir sie zum Abendessen ein. Ein gutes Essen in einem guten Hotel kostete nicht mehr als sieben oder acht Francs pro Nase. Schneewittchen, als typische Schweizerin, war zu blöde oder zu gutmütig, um auf Geld aus zu sein. Sie hatte nur einen Gedanken im Kopf — rechtzeitig zur Arbeit zurückzukommen. Es war bereits dunkel, als wir das Restaurant verließen. Wir gingen unwillkürlich dem Stadtrand zu und fanden bald eine Böschung, wo wir sie umlegten und es ihr besorgten. Sie nahm es hin wie einen Cocktail und bat uns, sie nach der Vorstellung abzuholen. Sie wollte eine Freundin auftreiben, die wir, wie sie glaubte, attraktiv finden würden. Wir begleiteten sie zu dem Cabaret zurück und machten uns dann daran, die Stadt eingehend zu erforschen.
    In einem kleinen Café, in dem eine alte Frau Zither spielte, bestellten wir Wein. Es war ein reichlich melancholischer Laden, und bald langweilten wir uns zu Tode. Als wir gerade gehen wollten, kam der Besitzer zu uns, überreichte uns seine Karte und sagte, er hoffe, wir kämen wieder. Während er sprach, gab Carl mir die Karte und stieß mich leise an. Ich las. Und da stand auf deutsch: «Judenfreies Café». Hätte da gestanden «Limburgerfreies Café», so hätte das für mich nicht absurder klingen können. Wir lachten dem Mann ins Gesicht. Dann fragte ich ihn auf französisch, ob er Englisch verstehe. Er bejahte es. Darauf sagte ich: «Lassen Sie sich eines gesagt sein — ich bin zwar kein Jude, aber für mich sind Sie ein Idiot! Haben Sie keine anderen Sorgen? Schlafen Sie denn...! Sie ersticken ja in Ihrer eigenen Scheiße. Haben Sie mich verstanden?» Er sah uns entgeistert an. Dann legte Carl in einem Französisch los, das jedem Apachen zur Ehre gereicht hätte: «Hören Sie, Sie ausgefickter Rundkäse», fing er an. Der Mann wollte pampig werden. «Halt die Schnauze», sagte Carl drohend und machte eine Bewegung, als wolle er den alten Narren erdrosseln. «Ich sage Ihnen nur eins: Sie sind eine alte Votze. Sie stinken!» Dann überfiel ihn einer seiner apoplektischen Lachanfälle. Der Mann muß gedacht haben, wir seien übergeschnappt. Wir zogen uns langsam zurück, lachten hysterisch und schnitten ihm Grimassen. Der Idiot war so schwer von Begriff, so verdutzt, daß er nur noch auf einen Stuhl sinken und sich die Stirn wischen konnte.
    Ein Stück die Straße hinunter stießen wir auf einen verschlafen aussehenden Polizisten. Carl ging respektvoll zu ihm hin, lüftete den Hut und sagte ihm in tadellosem Deutsch, wir kämen gerade aus dem ‹judenfreien› Café, dort sei eine Schlägerei ausgebrochen. Er riet ihm, rasch hinzugehen, denn - jetzt flüsterte er nur noch - der Besitzer habe einen Anfall und bringe womöglich noch jemanden um. Der Polizist dankte ihm in dienstlich lässiger Art und trollte sich zu dem Café. An der Ecke fanden wir ein Taxi. Wir ließen uns zu dem großen Hotel fahren, das wir am frühen Abend entdeckt hatten.
    Wir blieben drei Tage in Luxemburg, aßen, tränken nach Herzenslust, hörten den ausgezeichneten Kapellen aus Deutschland zu, beobachteten das geruhsame, langweilige Leben eines Volkes, das keinen Grund hat, zu existieren, und das nur insoweit existiert, wie das Kühe und Schafe tun. Schneewittchen hatte uns ihrer Freundin vorgestellt, die Luxemburgerin und ein Schwachkopf erster Klasse war. Wir sprachen über Käse, Stickereien, Volkstanz, Kohlenbergbau, Export-Import, über die großherzogliche Familie und die kleinen Unpäßlichkeiten, die sie hin und wieder heimsuchten, und so fort. Einen ganzen Tag verbrachten wir in Pfaffenthal, dem ‹Tal der Mönche›. Ein tausendjähriger Friede schien über diesem verschlafenen Tal zu herrschen. Es war wie ein Korridor, den Gott mit seinem kleinen Finger eingezeichnet hatte - eine Mahnung für die Menschen, daß sie, wenn ihr unersättlicher Blutdurst befriedigt und sie des Haders müde geworden seien, hier Frieden und Ruhe finden würden.

     
    Um die Wahrheit zu sagen, es war eine schöne, geordnete, wohlhabende, beschauliche Welt, jedermann war guter Laune, nachsichtig, gütig, duldsam. Dennoch lag über dem Ganzen ein Geruch von Fäulnis. Der Geruch der Stagnation.
    Durch ihre heuchlerische Freundlichkeit hatten sich die Einwohner selbst das Rückgrat gebrochen.
    Sie interessierten sich nur dafür, auf welcher Seite ihr Brot mit Butter bestrichen war. Selber konnten sie kein

Weitere Kostenlose Bücher