Stille über dem Schnee
warteten wir darauf, von der
jungen Frau im Badezimmer zu Hilfe gerufen zu werden. Erst das Kind und jetzt
die Mutter.
Dann geht die Badezimmertür einen Spalt auf, und die Frau streckt
den Kopf heraus. Sie sieht meinen Vater und mich an. »Kann ich mal mit dir
sprechen?« fragt sie.
Mit fragender Miene tippe ich mir auf die Brust.
»Ja, bitte«, sagt sie.
Ich gehe zur Tür.
»Hast du vielleicht ein Kotex da?« flüstert sie.
Ein Kotex, denke ich. O Gott, ein Kotex.
»Nein«, antworte ich bekümmert.
»Gar keins?« Das scheint sie zu überraschen.
»Nein.«
Sie neigt den Kopf zur Seite. »Wie alt bist du?«
»Zwölf.«
Ich habe eine Einlage, die Schulkrankenschwester hat die Dinger zu
Beginn des Schuljahrs an alle Mädchen der siebten Klasse verteilt, nur für den Fall , wie sie sagte, aber sie liegt in meinem
Schulspind. »Tut mir leid«, sage ich, und es tut mir wirklich leid. Mehr als
das â ich schäme mich halb zu Tode.
Die Frau blickt zum Fenster hinaus in den herabfallenden Schnee. »Es
ist ziemlich übel da drauÃen, nicht?«
Ich halte ihr den Flanellanzug hin.
»Was ist das?«
»Ein Schlafanzug. Er ist mir zu groÃ. Er hat einen Gummizug in der
Taille.«
Sie schiebt die Arme durch den Türspalt, und ich bemerke, daà ihre
Beine nackt sind. Sie schaut wieder zum Fenster hinaus. »Vielleicht hast du ja
irgend etwas«, fügt sie hinzu und schlieÃt die Tür wieder.
Ich kehre in die Küche zurück und lehne mich an die rote
Arbeitsplatte. Wie soll ich das bloà schaffen? frage ich mich. Ich schlieÃe die
Augen und überlege eine Minute.
»Dad?« sage ich schlieÃlich. »Ich muà zu Remyâs.« In meinem Ton
schwingt ein Anflug von Trotz, ich erwarte Einwendungen.
»Zu Remyâs?« Mein Vater drückt seine Zigarette in einer Untertasse
aus, die eigens zu dem Zweck gedacht ist.
»Ich muà was besorgen.«
»Was denn?«
Ich antworte mit einem Schulterzucken.
»Etwas für dich oder etwas für sie?« will er wissen.
»Etwas für sie«, sage ich.
»Was ist es?«
»Etwas für sie«, wiederhole ich.
Mein Vater steht auf und geht wieder zum Fenster. Er betrachtet
prüfend den Schnee, versucht zu schätzen, wie hoch er liegt, wie schnell er
fällt. Die Spuren seines Lastwagens und des blauen Autos sind beinahe ganz
zugedeckt.
»Es ist wichtig«, füge ich hinzu.
»Und was andres tutâs nicht?« fragt er.
»Nein.«
»Bestimmt nicht?«
Na ja, irgendein Tuch würde es wahrscheinlich schon tun, aber ich
habe nie zuvor einen solchen Auftrag bekommen, und ich bin entschlossen, diese
Frau nicht im Stich zu lassen. »Bitte, Dad«, dränge ich.
»Ich fahre«, sagte er. »Du bleibst hier.« Aber noch während er
spricht, kommen ihm Zweifel, das sehe ich ihm an. Er will mich nicht mit dieser
Frau allein im Haus lassen.
»Nein«, entscheidet er. »Du kommst mit.«
Wir ziehen uns schnell für den Schnee an. Ich klopfe an die
Badezimmertür und erkläre der Frau, daà wir einkaufen fahren und gleich wieder
da sind. Wir klettern in den Laster, und mein Vater startet den Motor. Er
steigt noch einmal aus und kratzt den Schnee von der Windschutzscheibe und den
Fenstern. Ich versuche, mir einzureden, daà es gar nicht so schlimm ist, aber
es ist schlimm: Der Schnee fällt dicht und schnell.
Unsere
ungepflügte StraÃe ist rutschig unter den Rädern des Lasters. Mein Vater fährt
konzentriert, und wir reden nicht.
Ich frage mich, ob ihm das gleiche wie mir durch den Kopf geht â daÃ
wir soeben eine fremde Frau in unserem Haus zurückgelassen haben, ein Frau, die
vielleicht versucht hat, ihr neugeborenes Kind zu ermorden. Ihr
Kind zu ermorden! Ich kann den Satz in meinem Kopf nicht zur Ruhe
bringen. Seit wir in New Hampshire leben, passiert eigentlich überhaupt nichts;
ganz selten, daà mal jemand den langen Hügel herauffährt. Aber in den letzten
neun Tagen haben wir dreimal Besuch bekommen: von Warren, dem Kriminalbeamten;
von Steve und Virginia; und jetzt von einer Frau, deren Namen wir immer noch
nicht wissen.
Wir fahren an der Schule, der Kirche und der Dorfwiese vorüber. An
der Ecke Strople und Maine Street beginnen die Hinterräder zu schwimmen und den
Laster quer über die StraÃe zu schieben. Mein Vater nimmt die Hände vom Lenkrad,
und
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