Stille über dem Schnee
wichtig.«
DrauÃen verpasse ich ihr erst mal einen Schnellkurs im
Schneeschuhlaufen. »Es ist nicht schwer«, erkläre ich. »Man schnallt sie an und
fängt an zu laufen. So, schauen Sie«, füge ich hinzu und mache ein paar
Schritte.
»Ich weiÃ, wie das geht«, sagt sie.
Charlotte klettert auf den Schneewall hinauf. Sie bewegt sich, als
wären ihre Beine Holzklötze, die sie mit sich herumschleppen muÃ. Während ich
sie ermahne, locker zu bleiben, werfe ich schnelle Blicke zur Scheune. Ich
glaube, das Geräusch einer Säge zu hören; genauer gesagt, ich hoffe es.
Vielleicht schaffen wir es bis zum Waldrand, ohne daà er etwas merkt. Ich kann
mich nicht erinnern, daà ich mich jemals heimlich von unserem Haus
fortschleichen muÃte; in den letzten zweieinhalb Jahren hätte ich auch gar
nicht gewuÃt, wohin.
Charlotte keucht, als wir eine Stelle erreichen, wo wir eine Pause
machen können. Sie beugt sich vornüber und stemmt die Hände auf die Knie wie
ein Sportler nach einem Marathonlauf. Ich frage sie immer wieder, ob es ihr
gutgeht, bis sie schlieÃlich sagt, ich solle endlich aufhören, es gehe ihr
bestens. Ich weiÃ, wenn mein Vater uns erwischen würde (tatsächlich weià ich
schon jetzt, daà es âºerwischtâ¹ heiÃen muà und nicht âºerwischen würdeâ¹), sähe er
mein schlimmstes Vergehen nicht darin, daà ich Charlotte zu dem Ort geführt
habe, wo ihr Kind ausgesetzt wurde, sondern darin, daà ich mit diesem Marsch
ihr Leben in Gefahr gebracht habe. Ich vertraue blind darauf, daà Charlotte,
die ich kaum kenne, mir Zeichen geben wird, wenn es ihr ernsthaft schlechtgeht.
»Sind Sie sicher, daà Sie das schaffen?« frage ich.
»Absolut.«
Schnee, der sich von den Ãsten der Kiefern löst, rieselt sanft
herab. Charlotte beginnt zu schwitzen. Sie wickelt sich aus dem Schal und
öffnet den ReiÃverschluà ihrer Jacke bis zur Taille. Ihre Jeans ist naà bis zu
den Knien, an ihre Lederstiefel will ich gar nicht denken. Ich empfinde jeden
Schritt als einen Schritt ins Unheil, aber Stolz oder das Gefühl der
Unausweichlichkeit, vielleicht auch einfach der Schwung der Bewegung treiben
mich weiter.
Nach einiger Zeit höre ich auf, über drohendes Unheil, meinen Vater
und Charlotte nachzudenken, und konzentriere mich ganz auf den Weg. Im Geist
sehe ich ihn klar vor mir; ihn auf dem Waldboden zu finden ist eine andere
Sache. Ich erkenne einen Felsbrocken wieder und sehe die Stelle, an der mein
Vater und ich nach rechts abgebogen sind, danach aber verlasse ich mich mehr
auf meinen Instinkt als auf sicheres Wissen. Ging es aufwärts, als wir dem
Bogen des Hügels nach rechts folgten? Ich versuche, mich zu erinnern, und wollte,
ich hätte bei unserem zweiten Marsch zu der Stelle (an dem Tag, als wir mit
Detective Warren zusammentrafen) genauer aufgepaÃt.
Zwischen Charlotte und mir entwickelt sich eine Art Routine. Ich
gehe dreiÃig Meter voraus, bleibe dann stehen und warte, bis sie herangekommen
ist. Sie bewegt sich nicht mehr ganz so plump wie zu Beginn unseres Marschs,
und sie kommt besser vorwärts. Jedesmal, wenn ich auf sie warte, drängen sich
mir Katastrophenbilder auf, aber ich stoÃe sie weg. Daà ich Charlottes
Gesundheit aufs Spiel gesetzt habe, wird nicht das Schlimmste sein, was mein
Vater mir vorwirft, das ist mir jetzt klar. Noch schlimmer wäre es, wenn wir
uns verliefen und andere uns suchen müÃten. Vielleicht vergeblich.
Wir laufen weiter, bis wir eine Lichtung erreichen, die mir völlig
unbekannt ist. Ich versuche, mir einzureden, daà mein Vater und ich sie bei
unseren früheren Wanderungen nur umgangen haben, aber ich weiÃ, daà es nicht so
ist. Charlotte zu sagen, daà ich den falschen Weg eingeschlagen habe, fällt mir
beinahe so schwer, wie mir den Irrtum selbst einzugestehen. Aber es bleibt mir
nichts anderes übrig.
Charlotte, die völlig auÃer Atem ist, sagt nichts.
»Wir finden es schon«, versichere ich.
Wir gehen den Weg, den wir gekommen sind, wieder zurück. Es ist
nicht schwer, unseren Spuren im frischen Schnee zu folgen. Kleine VogelfüÃe
haben schwache Eindrücke in der Schneedecke hinterlassen, und hin und wieder
erkenne ich die wie Schleifspuren aussehenden Abdrücke eines fliehenden Tiers.
Es kommt jetzt darauf an, die Stelle zu finden, wo ich falsch gegangen bin. Ich
bewege mich
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