Stille über dem Schnee
alles, was man sich
vorstellt«, sagt sie.
Die Welt rund um unser Haus ist still â kein Brummen von Motoren,
kein Keuchen des Heizbrenners, nur das Prasseln des Feuers im Kamin. Ab und zu
höre ich das Kratzen einer Schaufel im Schnee.
»Man weiÃ, daà etwas ⦠ich will nicht sagen nicht in Ordnung
ist, aber anders«, erklärt sie. »Man merkt es sofort. Das Essen schmeckt nicht
mehr wie sonst.« Sie berührt ihren Hals. »Genau hier hat man so einen
metallischen Geschmack. Sachen, die man immer gern gegessen hat, riechen auf
einmal ekelhaft. Und die Brüste tun einem weh. Sie schwellen an und werden sehr
empfindlich. Und dann fällt einem auf, daà man seine Periode nicht bekommen
hat. Also habe ich mir einen Test besorgt. Im Drugstore, du weiÃt schon. Und da
war er auch schon! Groà und breit. Der rosarote Klacks.«
Ich bin ziemlich sicher, daà ich weiÃ, was das mit dem rosaroten
Klacks bedeutet.
»Ich habe dann noch zwei Wochen abgewartet, bevor ich mit James
gesprochen habe. Da ging es mir schon gar nicht mehr gut. Mir war fast ständig
schlecht, nicht nur morgens. Man hat irgendwie Kopfschmerzen und einen
komischen Magen.«
»Und da haben Sie es ihm gesagt?« frage ich.
»Ja.«
»Und was hat er gesagt?«
»Erst war er furchtbar erschrocken und fragte immer wieder, wie das
passieren konnte. Wir waren immer ziemlich vorsichtig.« Sie wirft mir einen
Blick zu, um zu sehen, ob ich weiÃ, was »vorsichtig sein« heiÃt.
Ich nicke, obwohl mir die Einzelheiten nicht so ganz klar sind.
»Er ist hin und her gelaufen«, berichtet sie. »Manchmal hat er
gesagt: âºWas sollen wir jetzt tun?â¹, und dann hat er mich gefragt, wie es mir
geht. Glücklich war er jedenfalls nicht. Ich glaube, er hat sein ganzes Leben
den Bach runtergehen sehen.«
Mein Haà auf James wird noch stärker, als er schon war. »Und Ihr
Leben?« frage ich. »War ihm das überhaupt wichtig?«
»Ja, es war ihm wichtig«, antwortet sie. »Natürlich war es ihm
wichtig. Er hat nicht verlangt, daà ich das Kind abtreibe. Er ist auch
katholisch, und er wuÃte wahrscheinlich, daà er so etwas von mir nicht
verlangen konnte. Aber er hat schon davon gesprochen, das Kind nach der Geburt
wegzugeben. Er hat immer nur gesagt: âºWir lassen das auf uns zukommen und
nehmen es Schritt für Schritt.â¹Â«
Sie hält einen Moment inne und krümmt den Rücken. Ich habe den
Eindruck, daà er ihr weh tut.
»Die Ãbelkeit vergeht, und dann fühlt man sich ⦠man fühlt sich
einfach wunderbar, ich kann es nicht erklären. Man spürt, wie das Kind sich
bewegt«, sagt sie. »Es ist wie ein inneres Kitzeln, als hätte man Sprudelwasser
im Bauch. Aber anders. Alles ist anders. Man kann es mit nichts vergleichen,
was man vorher empfunden hat. Und man fühlt sich ⦠voll. Einfach voll.«
Sie lächelt. »Obwohl man ständig Hunger hat. Den stärksten HeiÃhunger hatte ich
auf Doughnuts. Unglasiert, aber heià und auÃen richtig knusprig. Ich habe sie
immer zu Milch gegessen.«
Charlotte streckt die Beine aus und lehnt sich, auf die Ellbogen
gestützt, zurück. Sie gähnt. »Für dich wird es ganz anders werden«, sagt sie,
mich ansehend. »Es wird herrlich und vollkommen sein, und es wird kein
schlimmes Ende haben. Da bin ich sicher.«
Sie gähnt wieder. »Danke, daà du mich da hinaufgeführt hast«, sagt
sie. »Es tut mir leid, daà du dir deswegen Ãrger mit deinem Vater eingehandelt
hast.«
»Ist nicht so schlimm«, sage ich. »Er wird drüber wegkommen.«
Ich sitze seitlich vom Feuer und stochere von Zeit zu Zeit mit dem
Schürhaken darin herum, um die Flammen anzufachen. Ich lege noch ein Scheit
auf. Mir fällt ein, daà ich die Halskette meiner GroÃmutter noch fertig machen
muÃ.
Ich greife nach der Taschenlampe und stehe auf. »Ich muà schnell mal
rauf in mein Zimmer«, sage ich zu Charlotte, »und meine Perlen holen.«
Charlotte gähnt noch einmal. »Das Feuer macht mich schläfrig.«
Ich würde den Weg ohne Taschenlampe finden, aber ich mache sie
trotzdem an. Mit dem Schuhkarton mit den Perlen und den Rohlederschnüren kehre
ich ins Wohnzimmer zurück. Ich stelle die Schachtel nahe beim Feuer ab, damit
ich in seinem Licht die Farben der Perlen unterscheiden kann, und suche
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