Stille über dem Schnee
ging an der Tür auf und ab und schaute immer wieder
durch die Seitenfenster hinaus zur StraÃe. Ich stand in meiner Jacke und mit
der Windeltasche über der Schulter bereit. Es dauerte nur Minuten, bis wir die
Sirene hörten.
Weder meine Mutter noch ich durften im Krankenwagen mitfahren. Meine
Mutter übergab Clara den Notärzten. Erst Jahre später begriff ich, wie schwer
ihr das gefallen sein muÃ. Sobald die hinteren Türen des Krankenwagens sich
geschlossen hatten, rannte meine Mutter zu ihrem Wagen, dem grünen VW . »Steig ein«, schrie sie mir zu.
Sie, die sonst so vorsichtig fuhr â manchmal in einem MaÃ, daà es
den Mitfahrer, im allgemeinen war ich das, fast zur WeiÃglut trieb â, schoà wie
eine Rakete rückwärts aus der Einfahrt und raste mit quietschenden Reifen dem
Krankenwagen hinterher. Sie trieb den Käfer auf Höchstgeschwindigkeit und
strapazierte den Motor bis zum äuÃersten, um den Krankenwagen im Blick zu
behalten. Ich hielt mich am Türgriff fest und verkniff mir jedes Wort, weil
meine Mutter selbst unter normalen Umständen keine gute Autofahrerin war.
Meistens saà sie vorn auf der Sitzkante, tief über das Lenkrad gebeugt, und
wenn sie die Spur wechseln muÃte, schaute sie erst rechts und links hinter
sich, ehe sie es riskierte. Bei meinem Vater hatte ich das nie gesehen. Doch an
diesem Tag fuhr meine Mutter wie ein Profi.
Vor dem Eingang zur Notaufnahme lieà sie den VW mit offenen Türen stehen und rannte der Trage mit Clara hinterher, deren
Geschrei sich von uns entfernte. Ich folgte meiner Mutter, so schnell ich
konnte, aber die Riesentasche, die mir bei jedem Schritt gegen den Oberschenkel
schlug, bremste mich. Ich wuÃte, daà es ernst war, sobald ich den Arzt über die
Trage gebeugt sah. Man rollte Clara in einen kleinen Raum mit weiÃen Vorhängen
auf beiden Seiten. Man schob sie in einen Metallkasten, was ich seltsam fand
und meine Mutter entsetzlich.
»Kann ich sie nicht wenigstens halten?« bat meine Mutter.
»Gehen Sie zur Seite, Mrs. Dillon«, sagte der Arzt.
»Wenn ich sie stille, hört sie auf zu weinen«, sagte meine Mutter.
»Sie jetzt zu stillen wäre das Schlimmste, was Sie tun können«,
erklärte er.
Der Arzt gefiel mir gar nicht. Er kommandierte die Leute herum, fand
sich wahnsinnig wichtig und blaffte die Schwestern an. Meine Mutter behandelte
er wie ein lästiges Ding, das ihm nur im Weg stand.
»Ist es schlimm?« fragte sie.
»Ihr Kind bekommt keine Luft«, antwortete der Arzt.
Ich stellte mich auf der anderen Seite des Zimmers an die Wand und
lieà die Windeltasche fallen.
»Nicky, hier ist Kleingeld«, sagte meine Mutter und kam zu mir. »Sieh
zu, ob du ein Münztelefon findest, und ruf deinen Vater an. Die Nummer weiÃt
du?«
Die wuÃte ich, ja. Ich rief meinen Vater manchmal nach der Schule
von zu Hause aus an, wenn ich mit einer Matheaufgabe nicht zurechtkam.
»Geh schon«, sagte sie.
Ich nahm die Windeltasche wieder auf und machte mich auf die Suche
nach einem Münztelefon. Eine Frau an einem Schalter sagte mir den Weg, und ich
fand schlieÃlich in der Nähe eines Aufzugs gleich mehrere Telefone.
»Dad, du muÃt kommen«, sagte ich.
»Warum?« fragte er, und ich hörte die Beunruhigung in seinem Ton.
»Clara kriegt keine Luft«, sagte ich.
»Wo seid ihr?« fragte er.
»In dem Krankenhaus, wo sie auf die Welt gekommen ist.«
»Sag deiner Mutter, daà ich gleich da bin.«
Ich setzte mich an die Wand, Schwestern und Vorhänge bildeten eine
Pufferzone zwischen mir und Clara. Sie wurde auf eine andere Station gebracht,
und ich folgte der Prozession. Irgendwann an diesem Abend schaute meine Mutter
mich an und sagte: »Rob, sie ist ganz blaÃ.«
Mein Vater kam zu mir und setzte sich neben mich.
»Sie muà sterben, stimmtâs?« fragte ich.
»Aber nein«, sagte er.
»Warum machen die dann so einen Wirbel?«
»So ist das in Krankenhäusern«, sagte er.
Ich wuÃte, daà das nicht stimmte. Als ich mir im Jahr zuvor das
Handgelenk gebrochen hatte, muÃten wir zwei Stunden in der Notaufnahme
herumsitzen; dann verlor mein Vater schlieÃlich die Geduld und brüllte die
Schwester in der Aufnahme an, seine Tochter habe starke Schmerzen.
»Ich rufe Jeff und Mary an«, sagte mein Vater. Das waren Freunde meiner
Eltern, die in der
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