Stille über dem Schnee
Lampenschirmen. Die Sonne wirft
lange Lichtstreifen auf den Boden, den Teppich und auf Charlotte, die sich
herumdreht und ihr Gesicht abwendet.
In der Küche hole ich Maisstärke, Mehl, Backpulver und Eier aus dem
Schrank, rühre die Zutaten in einer Schüssel zusammen und lasse die Pfanne heiÃ
werden. Schnell bewege ich mich zwischen Arbeitsplatte und Herd. Ich frage
mich, ob dunkle Geschichten erzählt werden können, wenn Sonnenlicht durch die
Fenster strömt. Ich streue Himbeeren wie Körner auf die kreisrunden Teigfladen.
Die Himbeeren haben wir im Sommer eingefroren. Wir haben riesige Mengen davon
in Beuteln in einem Gefrierschrank im Keller. Ich werde ein paar pürieren und
zuckern und den Saft in einem kleinen Krug auf den Tisch stellen, damit man ihn
sich über die Pfannkuchen gieÃen kann.
Ich nehme die Tabletts vom Kühlschrank und schicke mich an, sie zu
richten. Der Teig zischt im heiÃen Ãl. Meine Pfannkuchen sind immer knusprig;
das Geheimnis ist die Maisstärke.
In der kleinen Küche ist es schwierig, Platz für die Tabletts zu
finden. Ich stelle eins quer über das Spülbecken, das andere auf einen Stapel
Bücher.
Dann kommt Charlotte. Sie trägt wieder ihre zerknautschte weiÃe
Bluse und ihre Jeans. Ihr Gesicht ist rosig und vom Schlaf ein wenig knittrig.
Ihr ungekämmtes Haar fällt über einem Ohr auseinander. Sie hält beide Arme auf
die Brust gedrückt. »Ich habe die Schlafsäcke zusammengerollt«, sagt sie.
An der anderen Tür erscheint wie auf Kommando mein Vater. Sein Haar
steht in alle Richtungen ab. Er hat zur Hose ein rostrotes Sweatshirt und
beigefarbene Mokassins an, die an der Ferse ausgefranst sind. Einen Moment lang
kann ich an nichts anderes denken als an meinen Vater und Charlotte, wie sie
gestern nacht zusammen in der Küche waren.
»Hallo«, sagt er zu mir. Er sieht aus wie gestern. Mir wird bewuÃt,
daà ich einen anderen Vater erwartet habe, einen anderen Dad.
»Guten Morgen«, sagt er zu Charlotte.
»Guten Morgen«, antwortet sie.
Ich blicke von Charlotte zu meinem Vater und wieder zu Charlotte.
Sehe ich da Einverständnis zwischen ihnen, oder bilde ich es mir nur ein?
»Pfannkuchen«, sagt mein Vater. »Gut. Ich habe einen Riesenhunger.«
Er nimmt die Kanne unter der Kaffeemaschine heraus und füllt sie mit
Wasser.
»Was kann ich tun?« fragt Charlotte.
»Nichts eigentlich«, sage ich. Dann habe ich eine Idee. »Paà mal
einen Moment auf die auf«, sage ich zu meinem Vater mit einer Kopfbewegung zur
Bratpfanne. »Ich habe sie gerade reingetan. Ich bin gleich wieder da. Kommen
Sie mit, Charlotte.«
Charlotte folgt mir ins Vorderzimmer, das so hell ist wie die
anderen Räume. Ich lege meine Hand auf einen EÃtisch aus WalnuÃholz â oval und
wunderschön gearbeitet.
»Was tun wir hier?« fragt sie.
»Wir nehmen jetzt die Platte vom Tisch und tragen sie rüber in die Küche«,
sage ich. »Fassen Sie auf der Seite an.«
Gemeinsam manövrieren Charlotte und ich die Tischplatte durch die
Küchentür und stellen sie gegen die Küchenschränke.
Mein Vater beobachtet uns mit dem Kochlöffel in der Hand.
Charlotte und ich kehren ins Vorderzimmer zurück und tragen das
Untergestell des Tischs in die Küche. Wir stellen es ab und heben die Platte
darauf. Der Tisch nimmt fast den ganzen Platz in der Küche weg. Wenn wir hier
kochen und spülen wollen, werden wir ihn ein gutes Stück in den Gang zwischen
Wohnzimmer und hinterem Flur hinausschieben müssen. Aber wir haben einen Tisch
in der Küche.
»Aha«, sagt mein Vater.
Ich verteile Teller, Besteck und Gläser auf dem Tisch und stelle die
Tabletts wieder auf den Kühlschrank. Ich hole zwei Stühle aus dem Vorderzimmer
und den dritten aus meinem Zimmer oben. Ich gieÃe Orangensaft in die Gläser und
fülle den weiÃen Krug mit Himbeermark.
Mein Vater setzt sich ans obere Ende des Tischs, Charlotte und ich
nehmen einander gegenüber an den Seiten Platz. Einen Moment lang sehen wir drei
uns an und dann den Berg Pfannkuchen in der Mitte des Tischs, als wären wir
eine Familie, die überlegt, ob sie ein Gebet sprechen soll. In unserer Küche an
einem Tisch zu sitzen ist ungewohnt und vertraut zugleich. Es ist etwas ganz
Einfaches, aber mein Vater und ich haben es lange entbehrt.
Ich schaue zu der Stelle auf dem Küchenboden,
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