Stille über dem Schnee
sagte sie. »Und mach dein Bett. Man muà immer sein Bett
machen.«
»Wir schlafen doch auf dem FuÃboden.«
»Dann roll deinen Schlafsack zusammen.«
»Okay« , sagte ich.
Meine Mutter trank einen Schluck Tee. »Hast du das Geld fürs
Mittagessen?«
»Nein.«
Sie stand auf und nahm drei Vierteldollarstücke aus einem Pappbecher
in einem Küchenschrank. »Wir holen dich um zehn ab«, sagte sie.
»Um zehn schon?«
»Deine GroÃeltern kommen morgen, um mit uns Weihnachten vorzufeiern,
bevor sie nach Florida fliegen.«
Ich schaute mich um. »Wo ist Dad?«
»Er wird gleich kommen. Er ist spät aufgestanden.«
Ich konnte ihn hören, wie er oben auf nackten FüÃen vom Bad ins
Schlafzimmer lief.
»Hast du deine Geschenke schon eingepackt?« fragte meine Mutter.
»Nein.«
»Das kannst du morgen machen.«
»Alle dürfen bis elf bleiben«, sagte ich. »Mrs. Rice macht
extra ein groÃes Frühstück für uns.«
»Um zehn«, sagte meine Mutter.
Ich erinnere mich, daà sie aufstand und eine Pflanze auf dem
Fensterbrett über dem Spültisch goÃ. Mein Vater kam, nach Neutrogena-Shampoo
riechend, die Treppe herunter und trank seinen Kaffee im Stehen.
»Hast du meine Schlüssel gesehen?« fragte er meine Mutter.
»Sie liegen auf dem EÃzimmertisch.«
»Bereit, holde Maid?« fragte er mich und drückte leicht meinen
Nacken.
Ich schlüpfte in meine Jacke. Meine Mutter nahm mich in den Arm und
drückte mich. »Sei brav«, sagte sie. »Ich hab dich lieb.«
»Ich bin immer brav«, gab ich gereizt
zurück.
Wir gingen aus dem Haus, und ich schaute nicht zurück. Ich habe
nicht gesehen, ob meine Mutter noch an der Tür stand und ihren alten Bademantel
am Hals zusammenhielt. Vielleicht hat sie gewinkt. Vielleicht ist sie auch nach
oben gegangen, um noch zu duschen, bevor Clara wach wurde. Ich sagte nicht: Ich habe dich auch lieb . Ich sagte Clara nicht auf
Wiedersehen. Ich weià nicht, ob meine Schwester auf dem Bauch geschlafen hat,
Arme und Beine von sich gestreckt, den kleinen Po im dicken Windelpack in die
Höhe gestreckt, oder ob sie sich wie ein kleiner Wurm in eine Ecke verkrochen
hatte, wie sie das manchmal tat, und eine weiÃe Häkeldecke an ihr Kinn gedrückt
hielt. Ich weià nicht, ob die Ente Quack-Quack bei ihr im Bettchen war. Ich
weià nicht einmal mit Sicherheit, wann ich Clara zuletzt gesehen habe â beim
Abendessen auf meines Vaters Schoà oder in ihrem Bettchen, als ich auf dem Weg
ins Bad daran vorbeikam?
Ich wollte zur Schule und schaute nicht zurück. Ich hatte für den
Abend eine Verabredung mit Tara.
Ein Hilfssheriff kommt zu uns und teilt uns mit, daà Charlotte
in einem Streifenwagen nach Concord gebracht worden ist. Charlottes Wagen wird
von der Polizei sichergestellt werden. Wir dürfen das Haus nicht verlassen. In
Kürze wird ein Polizeibeamter vorbeikommen, um uns zu befragen.
»Wo
ist Detective Warren?« fragt mein Vater.
»Er ist mit der jungen Frau nach Concord gefahren«, erklärt der
Hilfssheriff.
Mein Vater schlieÃt die Tür und bleibt stehen, ohne die Hand vom
Knauf zu nehmen. Das kann doch nicht sein , denke ich.
Als wir das Baby gefunden haben, kam mir auch dieser Satz in den Sinn.
»Sie glaubt bestimmt, daà du die Polizei angerufen hast«, sage ich.
Mein Vater steht wie angewurzelt.
» Hast du sie angerufen?« frage ich.
»Nein.«
»Dann tu was!« brülle ich ihn an.
Er zieht die Hand vom Türknauf.
»Du weiÃt, daà sie keine Ahnung hatte!« Ich schreie. »Du weiÃt, daÃ
sie es nicht getan hat.«
Mein Vater dreht sich um und sieht mich fragend an.
»Ich habe euch in der Küche gehört«, sage ich.
»Du hast alles gehört?«
»Jedes einzelne Wort«, sage ich trotzig.
»Nicky«, sagt er.
»Charlotte ist eingeschlafen. Sie hatte Tabletten genommen. Sie hat
nicht gewuÃt, was James tat. Es ist ungerecht.«
»Sie wuÃte, was er getan hatte, als sie nach Hause kam«, sagt er.
»Sie hatte Angst. Sie war krank.«
»Sie hätte die Polizei anrufen müssen.«
»Hättest du das getan? Als du neunzehn warst, hättest du die Polizei
angerufen?«
Er öffnet seine Jacke und wirft sie auf die Bank. »Ich hoffe es.«
»Aber wenn du jetzt nichts tust«, schreie ich ihn an,
Weitere Kostenlose Bücher