Stiller Tod: Thriller (German Edition)
widerwilligen Verwandten in Australien, dann in England, und schließlich stieß seine Mutter auf diesen Aschram in New Mexico, in dem Exley bleiben musste, bis er alt genug war, um abzuhauen. Und jetzt erinnert sich seine Mutter nicht mehr an ihn. Würde sich nicht daran erinnern, dass sie mal eine Enkeltochter hatte.
Erst als der Scheinwerfer Exley erfasst, merkt er, dass er runter zum Strand gewandert ist und den Bewegungsmelder ausgelöst hat. Das harte Licht spült über den Sand, wo Sunny lag, und als er das Bild vor sich sieht, wie Vernon Saul versucht, sie wiederzubeleben, muss Exley sich abwenden.
Auf dem Rückweg zur Veranda wirft er einen Blick auf die beiden Überwachungskameras, die wie Tauben unter dem Dachvorsprung sitzen, und dankt dem großen Wachmann innerlich dafür, dass er den Beweis für seine Schuld gelöscht hat.
Exley geht zurück in sein Studio, setzt sich und starrt Sunnys Gesicht auf dem Monitor an, erfasst nur das Künstliche und die Fehler.
Er gibt sich einen Ruck, klickt das Animationsprogramm weg und ruft seine Facebook-Seite auf, giert nach irgendeiner Verbindung zur Außenwelt. Er hat keine Nachrichten oder Benachrichtigungen, der leere Briefkastenbalken seines Status fragt wie immer: »Was machst du gerade?« Er schreibt: »Meine Tochter ist gestern ertrunken. Morgenwird sie beerdigt«, und ohne weiter darüber nachzudenken, klickt er den Button »Posten« an und schickt es an seine dreitausendsechzig Freunde, von denen die meisten Wildfremde sind.
Er nimmt die Brille ab und massiert sich die Augen, denkt an Vernon Saul, noch so ein Fremder. Aber ein Mann, der ihm an diesem Tag ein besserer Freund war als alle anderen. Er überlegt, wie er ihm danken kann.
Plötzlich findet Exley seine Mitteilung in den Äther peinlich. Er setzt die Brille wieder auf, nimmt die Maus und will »Entfernen« anklicken, aber es ist zu spät: Er hat schon zweiundzwanzig Benachrichtigungen erhalten. Beth aus Lexington schreibt: Ich bete für dich und deine Familie . Bob aus Paris schreibt: Sie ist jetzt ein Engel . Kara aus Kuala Lumpur schreibt: Es tut mir so leid .
Exley kann nicht mehr weiterlesen und schließt Facebook. Aber sein BlackBerry, auf dem Facebook und Twitter und all die anderen Social-Network-Apps installiert sind, blinkt unaufhörlich neben der Tastatur, völlig überlastet von dem Erguss sinnloser Beileidsbekundungen.
Für Caroline ist es, als hätte das Absetzen der Medikamente vor zwei Tagen sie aus einem Korsett befreit. Sie sitzt mit verschränkten Beinen auf dem Bett, raucht Kette, den Computer auf dem Schoß, und eine Sturzflut von Wörtern ergießt sich von ihren Fingern in die Tastatur. Ein Tsunami, eine Wiedergutmachung, und auch wenn sie nicht sicher ist, was sie da schreibt, weiß sie doch, dass es besser ist als alles, was sie in den letzten Jahren verfasst hat.
Es ist nicht direkt autobiografisch (tote Töchter kommen nicht vor), aber es gibt eine frustrierte Schriftstellerin und einen blutleeren Ehemann, der nach Motherboards und Lötzinn riecht, und einen europäischen Liebhaber mit Vergangenheit. Und es ist gut und sarkastisch und sexy und witzig und verdammt clever, echt. Zadie Smith trifft Martin Amis, würde sie mal behaupten.
Als Caroline aus ihrer Innenwelt auftaucht, hat sie jedes Zeitgefühlverloren und merkt, dass das Zimmer dunkel ist, nur von ihrem Laptopmonitor erhellt wird. Sie zündet sich noch eine Kippe an und hebt den Laptop vom Schoß, ihr Schritt warm vom überhitzten Akku. Sie arbeitet noch immer mit einem uralten Mac, der langsam ist und wahrscheinlich ein Tummelplatz für Viren. Nick will sie dauernd zum Neuesten vom Neuen mit allem Schnickschnack überreden, aber sie weigert sich, weil sie aus irgendeinem albernen Aberglauben heraus meint, den Laptop behalten zu müssen, auf dem sie ihr einziges nennenswertes Werk geschrieben hat. Auch wenn sie weiß, dass es dumm ist, einem technischen Gerät magische Fähigkeiten zuzuschreiben – diese Art von Hokuspokus sollte sie lieber ihrem Mann, dem Computerfreak, überlassen.
Sie reckt sich und geht rüber zum Fenster, sieht das letzte Licht über dem Atlantik unten bei Sandy Bay verblassen, dem Nacktstrand, zu dem Vlad sie gern mitnimmt. Dann spaziert er dort herum, die Hakennase vorgestreckt, wobei ihm der unbeschnittene Schwanz gegen die Schenkel klatscht wie ein fettes Würstchen, und sie trottet hinterdrein, gehemmt wegen ihrer nackten sommersprossigen Haut.
Caroline knipst die
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