Stilles Echo
Unmöglichkeiten«, fügte er hinzu. »Es ist schwierig, eine Vergewaltigung zu beweisen. Warum ist Monk der Sache nachgegangen? Was er auch sonst vergessen haben mag, um diese Dinge muß er doch wissen!«
»Ich habe deswegen mit ihm gestritten«, sagte Hester mit dem Hauch eines Lächelns. »Es ist nicht das, was Sie befürchten.« Noch während sie es aussprach, hoffte sie, daß es die Wahrheit war, nicht nur ein Wunsch ihrerseits. »Er hatte lediglich die Absicht, die Männer vor ihrer eigenen Klasse bloßzustellen, nicht, sie der Rache der Leute aus St. Giles auszuliefern.«
Rathbones Lippen verzogen sich zu einem schwachen, ironischen Lächeln. »Das klingt ganz nach Monk. Eine hübsche Ironie, die Scheinheiligkeit der Gesellschaft zu nutzen, damit sie ihresgleichen für ebenjenes Verbrechen straft, dessen Existenz sie leugnet und über das zu richten sie nicht die Kraft hat.« Rathbone hatte den Blick immer noch auf ihr Gesicht geheftet.
»Aber was hat das mit Rhys Duff und dem Tod seines Vaters zu tun?«
»Rhys hatte eine Weile die Gesellschaft von Frauen gesucht , die sein Vater nicht billigte. Die passenden jungen Damen seiner eigenen Klasse interessierten ihn anscheinend nicht«, erklärte sie. »Zumindest ist das die Auffassung seiner Mutter.« Ohne daß es ihr bewußt war, waren ihre Hände auf ihrem Schoß ständig in Bewegung. »Vielleicht hatte er tatsächlich eine Ahnung, was Rhys wirklich tat. Wie auch immer, am bewußten Abend hatten die beiden Streit, und Rhys verließ das Zimmer und anscheinend auch das Haus. Leighton Duff brach etwa eine halbe Stunde nach ihm auf, als er begriff, daß Rhys weggegangen war, und er anscheinend ahnte, wohin.« Hester sah Rathbone an, um festzustellen, ob er ihren Erklärungen folgen konnte.
»Fahren Sie fort«, bemerkte er. »Bisher ist alles vollkommen klar.«
»Eine Frau wurde in jener Nacht in St. Giles vergewaltigt und geschlagen«, nahm sie ihren Bericht wieder auf. »Es geschah nur wenige Meter von der Water Lane entfernt. Kurze Zeit danach wurden in der Water Lane Rhys und sein Vater gefunden. Rhys war bewußtlos und hat seither kein Wort mehr gesprochen. Leighton Duff war tot.«
»Und die Polizei vermutet jetzt«, schlußfolgerte er, »daß Leighton Duff Rhys und seine Freunde überraschte, als man noch erkennen konnte, daß sie die Vergewaltiger waren. Entweder hat er sie auf frischer Tat ertappt, oder sie hatten gerade erst von ihrem Opfer abgelassen. Leighton Duff war außer sich vor Zorn, versuchte, ihnen Vernunft zu predigen oder gar sie zu ergreifen, um sie der Gerechtigkeit zuzuführen. Und daraufhin wurde er angegriffen, von einem der jungen Männer oder von allen zusammen. Zwei jedenfalls trieb er schnell in die Flucht, während Rhys in dem Bewußtsein, daß er seinem Vater nicht würde entrinnen können, weiterkämpfte, bis er ihn getötet hatte.«
»Ja, mehr oder weniger.« Es war ein schreckliches Eingeständnis, und es fiel ihr nicht leicht. Ihre Stimme klang gepreßt und brüchig.
»Ich verstehe.« Rathbone saß einige Sekunden schweigend und tief in Gedanken versunken da, und sie unterbrach ihn nicht. Schließlich blickte er auf. »Gibt es irgendwelche Hinweise, die Rhys oder seine Kumpane mit dem Verbrechen in Verbindung bringen? Und wer sind diese beiden anderen, wissen Sie das?«
»Ja, Arthur und Marmaduke Kynaston. Sie entsprechen den Beschreibungen der Zeugen. Ein Mädchen nannte Rhys beim Namen, und nicht nur ihn, sondern auch Arthur und Duke. Er wird im allgemeinen Duke genannt.«
»Ich verstehe.« Rathbone nickte schwach. »Wissen Sie, ob sie ebenfalls verletzt wurden?«
»Es sieht nicht so aus, als hätten sie irgendwelche Verletzungen davongetragen.« Ihr wurde plötzlich klar, in welche Richtung seine Gedanken gingen. »Aber das hieße nur, daß sie obendrein noch feige sind!«
»Ich fürchte, ja. Aber kann irgend jemand beweisen, daß einer der drei je in Seven Dials war? Kann man sie mit den vorangegangenen Vergewaltigungen in Verbindung bringen?«
»Soweit ich weiß, nicht.«
»Und läßt sich beweisen, daß diese Vergewaltigungen sich nicht zufällig ereignet haben und daß es mehrere Täter gibt? Es muß jede Woche etliche Vergewaltigungen in London geben.«
»Ich glaube nicht, daß in vielen Fällen drei Männer gemeinsam ihre Opfer überfallen haben, drei Männer, auf die die Beschreibung der Zeugen paßt: Einer von ihnen war hochgewachsen und dünn, einer durchschnittlich groß und schlank, der dritte
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