Stimmen aus dem Nichts
Theorien nicht belegen lassen.« Justus griff in eine Schale mit Gebäck, die auf dem Tisch stand, und knabberte gedankenversunken an einem Keks. »Bitte halten Sie mich nicht für indiskret, aber meiner Ansicht nach kann es dem Unruhestifter nur um eine Sache gehen. Deshalb meine Frage an Sie: Sind Sie eigentlich vermögend, Mrs Holligan?«
»Du meinst, da hat es jemand auf mein Geld abgesehen?« Die alte Dame setzte ihre Teetasse ab. »Da kann die Person aber lange warten. Testamentarisch habe ich bereits alles geregelt. Nach meinem Tod wird mein gesamter Besitz an eine Stiftung für Tumorkranke überschrieben. Ich habe meine Schwester lange leiden sehen und hoffe den Menschen mit meinem Geld helfen zu können, die ebenfalls mit dieser schrecklichen Krankheit kämpfen müssen. Ihr seht also, bei mir ist nichts zu holen.«
»Ob das der große Unbekannte auch weiß, ist fraglich«, überlegte Bob. »Und was ist mit der Textilfabrik Ihrer Schwester? Wem gehört die jetzt?«
»Als Metzla von ihrer Krankheit erfuhr, hat sie die Firma mir übertragen.« Mrs Holligan nahm die Brille von der Nase und rieb ihre müden Augen. »Zuerst hatte ich das nicht recht verstanden, da sie mich ja abgrundtief hasste. Aber dann kam ich schnell dahinter. Um die Fabrik stand es finanziell sehr schlecht. Sie schrieb rote Zahlen. Diesen ›Fluch‹ wollte Metzla mir wohl testamentarisch anhängen. Zum Glück fand ich einen schlauen Unternehmer, der den Betrieb wieder auf Erfolgskurs brachte.«
»Wenn finanziell bei Ihnen ›nichts zu holen‹ ist, Madam«, schlussfolgerte Peter, »dann muss es für diese Terroranschläge einen anderen Grund geben. Rache aus dem Jenseits können wir jedoch mit Sicherheit ausschließen.«
»Davon bin ich noch nicht ganz überzeugt«, erwiderte Mrs Holligan. »Aber ich hoffe, ihr habt Recht. Mir ist auf jeden Fall schon viel wohler, seit ihr euch dieser Sache annehmt.«
»Um welche Absicht könnte es dem Unbekannten noch gehen?«, warf Bob in die Runde.
»Vielleicht erlaubt sich da jemand einen üblen Scherz.« Peter war von dieser These zwar nicht besonders überzeugt. Aber seiner Meinung nach konnte es nicht schaden, auch diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen.
»Wo läge da der Witz, Kollege?« Justus warf dem Zweiten Detektiv einen scharfen Blick zu.
»Na ja«, entgegnete dieser. »Dieses Haus hier ist doch die exakte Nachbildung der Villa aus dem Horrorfilm von Alfred Hitchcock. Da wäre es doch immerhin möglich, dass jemand auf die makabere Idee gekommen ist, Mrs Holligan das Gruseln zu lehren. Einfach so. Just for fun! Immerhin handelte es sich in dem Streifen ›Psycho‹ auch um eine tote Frau, bei der der Eindruck erweckt wurde, sie wäre noch am Leben. Ihr müsst doch zugeben, gewisse Parallelen sind da vorhanden.«
»Unsinn«, entgegnete Mrs Holligan. »Ich habe den Film zwar nie gesehen, so etwas ist mir viel zu unheimlich, aber ich glaube nicht, dass Richard so weit gehen würde.«
Justus blickte die alte Dame interessiert an. »Wer um alles in der Welt ist Richard?«
»Ein alter Freund von mir und zugleich ein fanatischer Fan alter Hollywood-Filme. Er hat dieses Haus in den sechziger Jahren nachbauen lassen, nachdem Hitchcocks Klassiker ›Psycho‹ Welterfolge feierte.« Mrs Holligan zeigte auf ein Foto, das eingerahmt über dem Schreibtisch hing. »Das ist Richard. Er lebte über dreißig Jahre in dieser Villa. Er war zwar ein eigenartiger Kauz, aber ein hundertprozentiger Freund.«
»Und wo lebt er jetzt?« Bob betrachtete das Foto und empfand für den Mann mit der Glatze und seinen schelmisch blickenden Augen eine gewisse Sympathie.
»Er verliebte sich auf einer Europareise in eine junge Frau und lebt jetzt mit ihr in Italien. Mir gefiel dieses Haus, obwohl ich, wie gesagt, diesen Gruselfilm nie gesehen habe. Ich habe es ihm spontan abgekauft. Wir waren Freunde und er würde niemals so tief sinken, mich in den Wahnsinn treiben zu wollen. Außerdem weiß er, dass ich ein schwaches Herz habe.«
»Wie sieht es denn mit dem Grundstück aus, Madam?«, fragte Justus. »Hat Ihnen vielleicht jemand vor kurzer Zeit ein Angebot gemacht, das Sie abgelehnt haben?«
Mrs Holligan schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nein! Ich habe auch mit niemandem Ärger, noch habe ich mir irgendetwas zu Schulden kommen lassen. Diese unheimlichen Ereignisse müssen einen anderen Grund haben. Da bin ich absolut sicher!«
»Sicher können wir uns bei keiner unserer bisherigen Theorien sein, solange
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