Stimmen aus dem Nichts
für andere Menschen einsetzt, ihnen beibringt, dass das psychische Wohlbefinden weitaus wichtiger ist, als alle Schätze dieser Welt, und den Mut aufbringt, Sterbehilfe zu leisten, kann wohl nicht daran interessiert sein, mich frühzeitig unter die Erde zu bringen.«
»Unentgeltlich? Wie dürfen wir das verstehen?«, fragte Peter. »Und was meinen Sie mit Sterbehilfe?«
»Als Metzla von ihrer unheilbaren Krankheit erfuhr und wusste, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte, wurde sie geradezu wahnsinnig. Das Zusammenleben mit ihr wurde für mich zu einer Qual. Doch dann stieß ich durch Zufall in der ›Los Angeles Post‹ auf einen Artikel über Gesprächstherapien, in dem Dr. Clarissa Franklin große Lobeshymnen erntete. Ich suchte sie kurz entschlossen in ihrer Praxis auf und schilderte ihr meine Sorgen. Ich war damals mit meinen Nerven am Ende und griff sozusagen nach jedem Strohhalm.«
»Und dann?«
»Nahm sich Dr. Franklin meiner Schwester an.« Wie schon Tante Mathilda zuvor, geriet auch Mrs Holligan über die Fähigkeiten der Psychotherapeutin geradezu ins Schwärmen. »Sie hat sich in aufopfernder Weise um Metzla gekümmert und es gelang ihr sogar, die schrecklichen Ängste, die meine Schwester vor dem Tod hatte, durch eine Gesprächstherapie zu mildern. Außerdem war sie sehr darum bemüht, die Wogen zwischen uns beiden zu glätten. Selbst kurz vor Metzlas Ableben ließ es sich Dr. Franklin nicht nehmen, an ihrem Bett persönlich Trost und Sterbehilfe zu schenken. Ohne Honorar. Und das über Wochen hinweg.«
Justus musste diese neuen Informationen erst einmal verarbeiten. Wie besessen kaute er auf seiner Unterlippe herum. Irgendetwas stimmte da nicht, das sagte ihm sein Instinkt, während er interessiert Mrs Holligans weiteren Worten lauschte.
»Ihr seid mit euren Verdächtigungen auf dem Holzweg. Das gebe ich euch sogar schriftlich. Außerdem wollt ihr doch wohl nicht meine Menschenkenntnis anzweifeln, oder? Keine der drei erwähnten Personen kommt für mich als Täter in Frage. Und am wenigsten Dr. Franklin. Oder glaubt ihr etwa, ich würde der Schirmherrin der Tumorstiftung auch nur einen Dollar hinterlassen, wenn ich nur den geringsten Zweifel an ihrer Loyalität hätte?«
Justus hätte sich beinahe an seinem Tee verschluckt. »Wie war das bitte? Habe ich das eben richtig verstanden? Ihr gesamtes Vermögen geht an Dr. Franklin?«
»Nicht an sie«, verbesserte Mrs Holligan. »Sondern an ihre Tumorstiftung, die sie ins Leben rufen wird. Und es beruhigt mich ungemein, dass das Geld für wohltätige Zwecke genutzt wird.«
»Und das ist testamentarisch schon alles geregelt?« Justus war baff, behielt es aber für sich.
»Du hast ja ein noch schlechteres Gedächtnis als ich. Das habe ich euch doch schon vor ein paar Tagen gesagt.«
»Wer hat das Testament denn aufgesetzt?«, fragte Peter vorsichtig.
Es zeigte sich, dass die alte Dame trotz ihres hohen Alters ein hervorragendes Namensgedächtnis besaß. »Ein renommierter, erfolgreicher Notar. Sein Name ist Jack Cliffwater. Die Kanzlei ist in Santa Barbara. Gar nicht weit von hier. Aber das Testament wird euch nicht viel sagen. Und ein Haken wird da auch nicht dran sein. Dazu ist der Notar viel zu seriös.«
»Und woher kennen Sie ihn?« Peter war im Ausfragen manchmal ebenso geschickt wie Justus.
»Ich habe ihn durch Zufall vor einem Jahr auf dem Betriebsfest meiner Textilfirma kennen gelernt. Eine Seele von Mensch. Ich musste mich zur Testamentsaufsetzung noch nicht einmal in seine Kanzlei begeben. Er hat mich hier besucht und alle Formalitäten in diesem Haus getätigt.«
»Würden Sie uns das Testament denn mal kurz zeigen?«, erinnerte Bob Mrs Holligan diskret an ihre Zusage.
»Also gut. Ausnahmsweise. Hoffentlich bringt das kein Unglück. . .« Mit schlurfenden Schritten begab sich die alte Dame zu einem antiken Mahagonischreibtisch und öffnete die unterste Schublade. »Aber es ist nur eine Kopie. Das Original ist, wie gesagt, beim Notar hinterlegt.«
Anfänglich waren ihre Hände noch ruhig, als sie die Papiere durchsah, während sie etwas Unverständliches vor sich hinmurmelte. Doch plötzlich wurden ihre Finger hektisch und begannen fieberhaft zu suchen. Justus, Peter und Bob beobachteten die alte Dame, deren Gesicht langsam bleich wurde. Dann drehte sie sich um und sah die drei ??? fassungslos an. »Haltet mich jetzt nicht für wahnsinnig, aber die Kopie des Testaments ist gestohlen worden!
Zwei unter einer Decke
Mrs Holligan
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