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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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weit weg, abgestellt hat.
    Das nächtliche Duftbouquet setzt sich zusammen aus dem Silikatgeruch des Sandes, dem schweren Moschusduft der Mesquitesträucher und einem schwachen Eisengeruch, dessen Quelle er nicht ausmachen kann.
    In dem Augenblick, als der Arzt seinen Wagen erreicht, verstummen die Kojoten, offenbar misstrauisch geworden, weil sie eine neue Witterung aufgenommen haben, und die Ursache ihres misstrauischen Schweigens ist zweifellos Ahriman selbst. Ein Geräusch in der plötzlichen Stille veranlasst ihn aufzublikken.
    Albinofledermäuse, ein seltener Anblick, gleich einer Kalligrafie am Himmel, darüber der Siegelabdruck des Vollmonds. Hoch aufschwingende weiße Flügel, das leise Surren der Insekten auf der Flucht: Das Töten geschieht lautlos.
    Fasziniert beobachtet der Arzt das Schauspiel. Die Welt ist ein einziges großes Spielfeld, Töten ist der Sport, der hier getrieben wird, und es geht einzig und allein darum, im Spiel zu bleiben.
    Die hellen Flügel vom Mondlicht gezeichnet, ziehen sich die mutierten Fledermäuse zurück und verschwinden im Dunkel der Nacht, und als Ahriman die Wagentür öffnet, beginnen die Kojoten wieder zu heulen. So nah sind sie ihm jetzt, dass er in ihren Chor einfallen könnte, wenn er seine Stimme erheben wollte.
    Während er die Wagentür hinter sich zuzieht und den Motor anlässt, tauchen nacheinander sechs – acht, zehn – Kojoten aus den Büschen am Wegrand auf und rotten sich, während ihre Augen in den Lichtkegeln seiner Scheinwerfer rot aufglühen, vor ihm auf der Schotterstraße zusammen. Lockerer Kies knirscht unter den Reifen, als Ahriman langsam anfährt. Das Rudel teilt sich in zwei Gruppen, die dem Jaguar auf beiden Seiten der schmalen Straße voraus laufen, als wollten sie ihm wie die Vorhut einer Prätorianergarde Geleitschutz geben. Hundert Meter weiter, als er mit dem Wagen in Richtung Westen abbiegt, wo in der Ferne die Häuser der Stadt aufragen, machen die Tiere kehrt und wenden sich nun dem Ranchgebäude zu. Sie sind noch im Spiel, genau wie der Arzt.
    Genau wie der Arzt.
    Zwar waren die leisen, bebenden Klagelaute, die Susan Jagger in ihrem Kummer und ihrer Scham ausstieß, ein Labsal für ihn, und auch die Erinnerung an die Familie Pastore, die ihre gequälte Stimme in ihm geweckt hatte, wirkte belebend, aber Dr. Ahriman war kein Jüngling mehr wie damals in New Mexico. Wenigstens ein paar Stunden erholsamen Schlafs musste er sich gönnen. Vor ihm lag ein anstrengender Tag, an dem er einen klaren Kopf und seine ganze Kraft brauchen würde, denn von nun an sollten Martine und Dustin Rhodes eine Hauptrolle in seinem komplizierten Spiel übernehmen. Daher befahl er Susan, sich von ihren Gefühlen zu befreien und fertig anzuziehen.
    Als sie in Slip und T-Shirt vor ihm saß, sagte er: »Steh auf!« Sie erhob sich.
    »Du bist eine wahre Augenweide, mein Kind. Jammerschade, dass ich meine Videokamera nicht doch heute mitgebracht habe, anstatt bis zum nächsten Mal zu warten. Diese süßen Tränen. Warum, Daddy? Warum? Das war besonders herzzerreißend. Ich werde es mein Lebtag nicht vergessen. Du hast mir wieder einmal ein ganz besonderes Erlebnis beschert.«
    Ihre Augen schweiften von ihm ab.
    Er folgte der Richtung ihres Blicks zu dem BonsaiBäumchen, das auf der Blumenständer in seiner Bronzeschale stand.
    »Die Gärtnerei«, sagte er in beifälligem Ton, »ist ein heilsa mer Zeitvertreib für eine Agoraphobikerin. Zimmerpflanzen können dir helfen, mit der Natur außerhalb deiner vier Wände in Berührung zu bleiben. Aber wenn ich mit dir rede, erwarte ich, dass du mich ansiehst.«
    Ihr Blick kehrte zu ihm zurück. Sie weinte jetzt nicht mehr.
    Die letzten Tränenspuren trockneten auf ihren Wangen. Irgendetwas irritierte ihn an ihr, etwas Unterschwelliges, Undefinierbares. Der distanzierte Ausdruck in ihren Augen. Die Art, wie sie die Lippen zusammengepresst hatte, sodass die Mundwinkel tiefe Linien bildeten. Die Spannung, die sich darin ausdrückte, hatte nichts mit ihrer Erniedrigung und Scham zu tun.
    »Spinnmilben«, sagte er.
    Er glaubte zu sehen, wie ein sorgenvoller Schatten über ihre Augen kroch.
    »An Bonsai-Bäumchen sind sie eine Plage, Spinnmilben, meine ich.«
    Das Gespinst, das sich über ihre Züge legte, war eindeutig aus Sorge gesponnen, aber sicher nicht aus Sorge um ihre Zimmerpflanzen.
    Ahriman, der Probleme witterte, bemühte sich, die postkoitale Trägheit aus seinem Kopf zu vertreiben und sich auf Susan zu

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