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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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seinen Namen rief, hörte, wie sie aus dem Schlafzimmer in den Flur trat und sich dem Badezimmer näherte. Hastig drehte er sich um, lief ihr entgegen und versperrte ihr den Weg. »Nein.«
    Als würde sie in seinen Augen jede Einzelheit erkennen, die er im Badezimmer gesehen hatte, sagte sie: »O Gott, nein. Sag mir, dass es nicht wahr ist, nicht sie.«
    Sie wollte sich an ihm vorbeidrängen, aber er hielt sie fest und dirigierte sie mit sanfter Gewalt ins Wohnzimmer zurück. »Du wirst nicht auf diese Weise Abschied nehmen wollen.«
    In ihr zerbrach etwas, wie er es nur ein einziges Mal an ihr erlebt hatte, im Krankenhaus, in der Nacht, in der ihr Vater vor dem Krebs kapituliert hatte, in der sie, von Schmerz überwältigt, an seinem Totenbett zu einem hilflosen Bündel zusammengesackt war wie eine Stoffpuppe, die sich nicht aus eigener Kraft aufrichten kann, wie die strohgefüllten Lumpen einer Vogelscheuche, die ohne ihr hölzernes Gerüst nicht stehen kann.
    Willenlos ließ sie sich von ihm zum Sofa ziehen, wo sie, in Tränen aufgelöst, zusammenbrach. Sie grub die Finger in eines der Zierkissen, die so kunstvoll auf dem Sofa aufgeschichtet waren, und drückte es an die Brust, umklammerte es so krampfhaft, als könnte sie damit ihr blutendes Herz beschwichtigen.
    Während der Wind so tat, als würde er ein Klagelied anstimmen, wählte Dusty die Notrufnummer, obwohl ein Notarzt hier schon seit Stunden nichts mehr ausrichten konnte.

54. Kapitel
    Der stürmische Nachmittag plusterte sich hinter dem Rücken der beiden uniformierten Beamten auf, die als Erste eintrafen, und vor ihnen her wehte die wintergrüne Fahne der Pfefferminzbonbons, die den aufdringlichen Geruch eines allzu knoblauchhaltigen Mittagessens kaschieren sollten.
    In der Atmosphäre der Wohnung – geprägt von Marties stummem Schmerz, von Dustys leise gemurmelten Trostworten, von den wehmütigen Geisterstimmen des Windes – hatte bis zu diesem Augenblick noch das dünne Fädchen irrationaler Hoffnung Bestand gehabt, das unmittelbar nach dem Tod eines geliebten Menschen die Seele zusammenhält. Ungeachtet dessen, was er mit eigenen Augen gesehen hatte, spürte Dusty es in sich selbst: diesen wahnsinnigen, verzweifelten, nur schwach glimmenden, aber doch nicht auszulöschenden traurigen Wunsch zu glauben, dass alles ein schrecklicher Irrtum war, dass die Verstorbene nicht tot war, sondern nur bewusstlos oder in einem Koma, dass sie schlief und gleich aufwachen, ins Zimmer kommen und fragen würde, was ihre bedrückten Mienen zu bedeuten hatten. Er hatte Susans fahlgrüne Haut gesehen, die dunklen Verfärbungen am Hals, ihr aufgedunsenes Gesicht und das Leichensekret; und doch flüsterte ihm ein ganz zartes inneres Stimmchen zu, es könnten auch Schatten gewesen sein, optische Lichteffekte, die ihm einen grausamen Streich gespielt hatten. Martie, die den Leichnam nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, musste sich unweigerlich noch fester an diese trügerische Hoffnung klammern als Dusty.
    Die beiden Beamten setzten der Hoffnung durch ihre bloße Anwesenheit ein Ende. Höflich, rücksichtsvoll und professionell, waren es doch so große, breite und kräftige Gestalten, dass sie allein durch die Wucht ihrer Erscheinung der rauen Wirklichkeit zur Geltung verhalfen und falsche Hoffnungen zunichte machten. Ihr sachlicher Polizeijargon, der ihre Feststellungen für Außenstehende unverständlich verklausulierte, fasste die Gewissheit des Todes in Worte, und die knisternden, rauschenden Durchsagen, die aus dem Funkgerät am Gürtel des einen Beamten drangen, klangen wie die Stimme des Schicksals, unverständlich, aber nicht zu überhören.
    Zwei weitere uniformierte Polizisten trafen ein, dicht gefolgt von zwei Beamten in Zivil. Gleich darauf tauchten zwei Leute von der Gerichtsmedizin auf, eine Frau und ein Mann. Hatte die Anwesenheit der ersten beiden Beamten schon den Moment der Hoffnung zunichte gemacht, so nahmen die Neuankömmlinge, ohne es zu wollen, dem Tod nun auch sein Geheimnis und seine besondere Würde durch die routinierte Geschäftigkeit, mit der sie sich mit der unbeteiligten Miene von Leuten, die alles schon gesehen haben, an der Leiche zu schaffen machten wie ein Buchhalter an seinen Akten.
    Die Beamten stellten eine Menge Fragen, aber weniger, als Dusty erwartet hatte, was vor allem daran lag, dass die Beweise vor Ort und der Zustand der Leiche kaum einen Zweifel an einem Selbstmord lassen konnten. Aus dem vierseitigen Abschiedsbrief der

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