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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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sich wieder gerade auf.
    »Schon besser«, sagte sie. »Aber ich fühle mich immer noch wie Scheiße.«
    »Vogelscheiße«, rief Dusty ihr in Erinnerung.
    »Richtig.«
    Obwohl es noch fast eine Stunde bis zum Einbruch der Dunkelheit war, hatten die Fahrer der meisten Wagen, die mit ihnen die Straße befuhren, schon ihre Scheinwerfer eingeschaltet. Die schlammgrauen Wolkenmassen, die langsam von Westen nach Osten zogen, brachten eine vorzeitige, verlängerte Dämmerung mit.
    Dusty schaltete die Lichter ein und scherte in den Verkehrsfluss ein.
    »Danke für deine Hilfe«, sagte Martie.
    »Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen.«
    »Sprich einfach das nächste Mal wieder mit mir. Deine Stimme. Sie erdet mich.«
    Er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis er sie in die Arme nehmen konnte, ohne dass sie vor Angst erstarrte, ohne dieses Aufblitzen einer mühsam unterdrückten Panik in ihren Augen zu bekommen. Wie lange wohl, wenn überhaupt? 
    *
    Das grollende Meer wollte sich aus seiner Tiefe aufbäumen und den Kontinent verschlingen, während der windzerzauste Strand seine sandigen Finger nach der Promenade ausstreckte, um heimlich das Pflaster zu stehlen.
    Auf der schrägen Stange des Treppengeländers hockten drei Möwen, Meereswächter auf ihrem Ausguck, die sich noch nicht entscheiden konnten, ob sie der stürmischen Küste den Rücken kehren und tiefer im Inland einen geschützteren Schlafplatz suchen sollten.
    Als Dusty und Martie die steile Treppe zum zweiten Stock hinaufstiegen, flatterten die Vögel nacheinander auf und ließen sich von den aufbrandenden Wellen des Windes nach Osten davontragen. Obwohl man Möwen nicht als die schweigsamsten Tiere kennt, ließ keine der drei im Davonfliegen einen einzigen heiseren Schrei vernehmen.
    Martie klopfte an die Tür und wartete, dann klopfte sie noch einmal, aber Susan machte nicht auf.
    Mit ihrem Schlüssel öffnete sie die beiden Sicherheitsschlösser, drückte die Tür auf und rief dann zweimal Susans Namen, bekam aber keine Antwort.
    Sie streiften die Sohlen an der groben Fußmatte ab und traten ins Haus, machten die Tür hinter sich zu und riefen, diesmal etwas lauter, noch einmal Susans Namen.
    In der Küche war es dämmrig, aber im Esszimmer brannte Licht.
    »Susan?«, rief Martie noch einmal. Wieder kam keine Antwort.
    Die Wohnung war von Stimmen erfüllt, aber es war nur der Wind, der Selbstgespräche führte. Schnatternd auf dem schindelgedeckten Dach. Johlend und ausgelassen in den Regentraufen. Pfeifend in allen Ritzen und flüsternd an den Fenstern.
    Dunkelheit im Wohnzimmer: alle Jalousien geschlossen, alle Vorhänge zugezogen. Dunkelheit auch im Flur, doch aus dem Schlafzimmer, dessen Tür weit offen stand, drang ein Lichtschein. Die Tür zum Bad war nur einen Spaltbreit geöffnet, dahinter ein hartes Neonlicht.
    Zögerlich rief Martie noch einmal Susans Namen, dann trat sie ins Schlafzimmer.
    Mit der Hand an der Badezimmertür, noch bevor er sie weiter aufgedrückt hatte, wusste Dusty Bescheid. Der Rosenduft des Badewassers überdeckte nur unzulänglich einen Geruch, den ein ganzes Spalier voller Rosen nicht hätte vertreiben können.
    Es war nicht mehr Susan. Das Gesicht aufgedunsen von Fäulnisgasen, die Haut grünlich verfärbt, die Augen hervorgequollen durch den Druck im Schädel, Sekret, das aus Mund und Nasenlöchern floss, die grotesk heraushängende Zunge, die uns alle im Tod hündisch werden lässt: Dank der beschleunigenden Wirkung des warmen Wassers, in dem sie gestorben war, hatten die winzigsten Geschöpfe der Natur sie bereits in den Stoff verwandelt, aus dem die Albträume sind.
    Dusty sah den Notizblock auf dem Waschtisch neben dem Becken, die geraden Linien ihrer säuberlichen Handschrift, und plötzlich mischte sich in das Blut, das sein hämmerndes Herz ihm durch die Adern pumpte, ein unvorstellbares Grauen, ein kaltes Entsetzen, das nicht der bedauernswerten Toten in der Badewanne galt, sondern der bangen Frage, was das alles für ihn selbst, für Martie und für Skeet bedeutete. Er durchschaute im selben Augenblick das Tableau, das sich seinen Augen bot, ahnte intuitiv die Wahrheit und wusste, dass sie in viel größerer Gefahr waren, als sie es sich vorgestellt hatten, dass sie, jeder für den anderen und jeder für sich selbst, eine Gefahr waren, deren ungeheuerliches Ausmaß fast angetan war, Marties Autophobie zu rechtfertigen.
    Bevor er den ersten Satz des Abschiedsbriefs gelesen hatte, hörte er, wie Martie

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