Stimmen der Angst
»es ist kalt draußen. Du kannst unmöglich nur in diesem dünnen Schlafanzug rausgehen.«
»Der Bademantel ist kratzig«, sagte Skeet angewidert. »Es ist auch nicht meiner, Martie. Der ist von hier. Total verfilzt, und außerdem finde ich das Streifenmuster scheußlich.«
In besseren Zeiten, bevor ihn die Drogen völlig ruiniert hatten, waren die Frauen auf Skeet geflogen wie Fliegen auf ein rohes Stück Fleisch. In jenen Tagen hatte er es verstanden, sich vorteilhaft zu kleiden, ein Gockel mit stolz gespreiztem Gefieder. Aber selbst heute, in seiner desolaten Verfassung, blitzte Skeets Sorge um die äußere Erscheinung noch gelegentlich auf, obwohl Martie wenig Verständnis dafür hatte, dass es ausgerechnet jetzt sein musste.
Dusty zog den Reißverschluss der Reisetasche zu. »Gehen wir.«
Aus Verzweiflung zog Martie die Decke von Skeets Bett und legte sie ihm über die Schultern. »Wie ist es damit?«
»Irgendwie indianisch«, sagte er und zog die Decke fester um sich. »Gefällt mir.«
Sie fasste Skeet am Ellbogen und schob ihn zur Tür, wo Dusty bereits wartete.
»Moment mal!« Skeet blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und drehte sich um. »Die Lotterielose.«
»Welche Lotterielose?«, fragte Martie.
»Die sind im Nachttisch«, sagte Dusty. »Ich habe sie in die Bibel gesteckt.«
»Ohne die gehen wir nicht«, sagte Skeet hartnäckig.
*
Ahriman reagierte ungehalten auf das stürmische Klopfen. »Ich wünsche, nicht gestört zu werden.«
Es folgte eine kurze Stille, dann neuerliches Klopfen.
An den Schauspieler gewandt, sagte Ahriman leise: »Geh ins Schlafzimmer, leg dich auf dein Bett und warte dort auf mich.«
Der Schauspieler erhob sich vom Sofa und schwebte aus dem Raum, als wäre die Aufforderung, die er gerade erhalten hatte, aus dem Mund einer Geliebten gekommen, die ihm den Gipfel der Sinneslust verhieß. Jeder seiner geschmeidigen Schritte, jede Bewegung aus der Hüfte heraus war verführerisch genug, dass er damit die Kinos rund um den Erdball hätte füllen können.
Es klopfte ein drittes Mal an die Tür. »Dr. Ahriman? Dr. Ahriman?«
Während er zur Tür ging, beschloss der Arzt, sich doch eingehender mit der Frage zu befassen, was er mit Schwester Woostens Zunge anstellen sollte, falls er diese Störung ihr zu verdanken hatte.
*
Martie nahm die beiden Lose aus der Bibel und reichte sie Skeet.
Der hielt mit der Linken seinen Deckenumhang zusammen und winkte abwehrend mit der Rechten. »Nein, nein! Wenn ich sie anfasse, sind sie nichts mehr wert, ich bringe nur Pech.«
Während Martie die Lose in die Tasche steckte, hörte sie, wie irgendwo im Gang jemand Dr. Ahrimans Namen rief.
* Als Ahriman die Tür öffnete und sah, dass es Jasmine Hernandez war, die geklopft hatte, war er noch weniger begeistert, als wenn Schwester Woosten mit ihrer aufreizenden rosigen Zunge vor ihm gestanden hätte.
Jasmine war eine ausgezeichnete Krankenschwester, aber sie erinnerte ihn allzu sehr an eine bestimmte Sorte von Mädchen, die ihm als Kind und als Heranwachsender begegnet waren und die er als die »Alleswisser« zu bezeichnen pflegte. Das waren diejenigen, die ihn mit den Augen verspotteten, mit vielsagenden Blicken und selbstgefälligem Grinsen, das er gerade noch aus den Augenwinkeln wahrnahm, bevor er ihnen den Rücken zukehrte. Die Alleswisser schienen ihn zu durchschauen und ihn so zu erkennen, wie er nicht erkannt werden wollte. Er hatte damals sogar, schlimmer noch, immer das Gefühl gehabt, dass sie etwas ungeheuer Komisches über ihn wussten, etwas von dem er selbst keine Ahnung hatte, dass er für sie eine Witzfigur war aufgrund von Charaktereigenschaften, die er in sich selbst nicht entdecken konnte.
Nachdem er sich etwa im Alter von sechzehn, siebzehn Jahren von einem hübschen, schlaksigen Jugendlichen zu einem umwerfend gut aussehenden jungen Mann gemausert hatte, hatten ihm die Alleswisser kaum noch Schwierigkeiten bereitet. Die meisten schienen die Fähigkeit, ihn zu durchschauen, verloren zu haben. Jasmine jedoch gehörte zu den wenigen Ausnahmen, und obwohl sie ihn noch nie mit Röntgenblick gemustert hatte, gab es Momente, in denen er nur darauf wartete, dass sie mit einem überraschten Blinzeln näher hinsah und dass dann dieser ganz bestimmte spöttische Ausdruck in ihre Augen treten und ihre Mundwinkel sich zu einem kaum merklichen höhnischen Grinsen verziehen würden.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung, Dr. Ahriman, aber als Schwester Ganguss mir
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