Stimmen der Angst
gern noch mit Dusty reden.«
Martie reichte ihm das Telefon.
Er warf ihr zwar einen misstrauischen Blick zu, nahm es aber an. »Hallo, Sabrina. Ja. Na ja, wie es so geht. Mhm. Klar. Nein, mache ich nicht. Nein, wirklich nicht. Nein, ich verspreche es dir. Ja, da hast du Recht. Was? Nein, nein, das habe ich nie so ernst genommen. Mach dir keine Vorwürfe. Ja, ich hab dich auch gern, Sabrina. Wie? Klar. Mutter. Ich liebe dich auch, Mutter.«
Er gab Martie das Telefon zurück, und sie schaltete es aus.
Eine Weile schwiegen sie beide, dann sagte Martie: »Wer hätte das gedacht – mitten in diesem Tohuwabohu eine MutterKind-Versöhnung.«
Eigenartig, wie die Hoffnung manchmal ihr schönes Gesicht zeigt, wenn man es am wenigsten erwartet, eine Blume in der Wüste.
»Du hast sie angelogen, Schatz«, sagte Dusty.
Sie wusste, dass er weder ihre zeitlich sehr vage Schilderung der Ereignisse um Skeets Sprung und den Antritt seines Klinikaufenthalts meinte noch ihr Stillschweigen über Susans Tod und den restlichen Schlamassel, in dem sie steckten.
Sie nickte. »Ja, ich habe gesagt, wir würden von keinem Dach stürzen … aber leider fallen wir alle früher oder später einmal vom Dach.«
»Es sei denn, wir wären die Ersten, die ewig leben.«
»Wenn wir das vorhaben, sollten wir uns sehr viel intensiver um unsere Rentenversicherung kümmern.«
Martie hatte schreckliche Angst, Dusty zu verlieren. Wie ihre Mutter brachte sie es nicht über sich, ihre Gefühle in Worte zu fassen, weil sie Angst hatte, dass sie damit genau das, wovor sie sich fürchtete, heraufbeschwören würde.
New Mexico war der Staat, in der die Hochebene auf die Rocky Mountains traf, das Dach des amerikanischen Südwestens, und Santa Fe lag zweieinhalbtausend Meter über dem Meeresspiegel: ein Fall aus großer Höhe.
*
Von den fünf Nachrichten, die auf der Mikrokassette gespeichert waren, erwies sich nur eine als wichtig. Aber als Ahriman diese eine abhörte, beschleunigte sich sein Herzschlag noch einmal.
Wieder ein Joker.
Nachdem er auch die beiden Nachrichten von Marties Mutter abgehört hatte, die auf Susans Bombe folgten, löschte er das Band.
Nach dem Löschen nahm er die Kassette aus dem Anrufbeantworter, ließ sie auf den Boden fallen und trampelte so lange darauf herum, bis das Kunststoffgehäuse völlig zertrümmert war.
Aus den Trümmern zog er das schmale Magnetband und die beiden kleinen Spulen, um die es aufgewickelt war. Das Ganze füllte nicht einmal seinen Handteller aus: eine solche Gefahr, auf ein so winziges Volumen kondensiert.
Wieder im Erdgeschoss, öffnete er die Rauchabzugsklappe im Wohnzimmerkamin und legte das Band mit den beiden Plastikspulen auf die Keramikscheite.
Aus einer seiner Jackentaschen nahm er ein elegantes, solide gearbeitetes schmales Cartier-Feuerzeug.
Seit er elf war, trug er stets ein Feuerzeug mit sich herum, zuerst eines, das er seinem Vater heimlich entwendet hatte, und später dann das jetzige, wesentlich teurere Modell. Der Arzt rauchte nicht, aber es bestand immer die Möglichkeit, dass er einmal etwas in Brand stecken wollte – oder musste.
Im Alter von dreizehn, als er gerade das erste Collegejahr absolvierte, hatte er seine Mutter abgefackelt. Hätte er damals, als er es plötzlich dringend brauchte, kein Feuerzeug zur Hand gehabt, hätte das Leben an jenem düsteren Tag vor fünfunddreißig Jahren vielleicht eine sehr unangenehme Wendung für ihn genommen.
Obwohl seine Mutter eigentlich beim Skifahren hätte sein sollen – sie verbrachten die Weihnachtsferien in ihrem Ferienhaus in Vail –, überraschte sie ihn, als er gerade die letzten Vorbereitungen für die Vivisektion einer Katze traf. Er hatte die Katze mit Chloroform betäubt, das er aus den im Haushalt vorhandenen normalen Reinigungsmitteln zusammengebraut hatte, ihre Pfoten mit Klebeband an der Plastikunterlage fixiert, die ihm als Seziertisch dienen sollte, ihr das Maul zugeklebt, damit sie nicht schreien konnte, wenn sie während der Operation aus der Narkose aufwachte, und die chirurgischen Instrumente zurechtgelegt, die er bei einer Firma für medizinische Geräte mit dem bei diesem Anbieter üblichen Rabatt für angehende Medizinstudenten erstanden hatte. Dann … oh, hallo, Mutter! Manchmal, wenn sie zu Dreharbeiten an Außendrehorten unterwegs war oder eine der Fotosafaris unternahm, die sie so liebte, bekam er sie monatelang nicht zu Gesicht, aber jetzt hatte sie plötzlich das schlechte Gewissen gepackt, weil
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