Stimmen der Angst
regendurchweichten Kleiderfalten zurück.
»Du kannst dir das alles nicht noch einmal leisten«, sagte Skeet, als Dusty auf den Parkplatz der New-Life-Klimk einbog.
»Mach dir darüber keine Gedanken. Ich habe zwei Großaufträge an Land gezogen. Außerdem denkt sich Martie am laufenden Band die schrecklichsten Todesarten für Orks und andere Monster aus, was ihr einiges an Kohle einbringt.«
»Ich weiß nicht, ob ich die ganze Prozedur noch einmal durchstehen kann.«
»Du kannst. Du bist heute Vormittag von einem Dach gesprungen. Danach müsste der Entzug eigentlich ein Kinderspiel für dich sein.«
Die Privatklinik war in einem Gebäude untergebracht, das wie der Firmensitz einer gut gehenden mexikanischen Fastfood-Restaurantkette aussah: eine zweigeschossige Hazienda mit einer dem Erdgeschoss vorgebauten Bogenhalle und einer Reihe überdachter Balkone im ersten Stock, das Ganze penibel ordentlich mit Bougainvilleen verziert, deren Zweige fein säuberlich einzeln um Säulen und Bogenrundungen drapiert worden waren. Die Vollkommenheit dieses Arrangements stach so aufdringlich ins Auge, dass man den Eindruck hatte, sich in einer künstlich geschaffenen Welt à la Disney zu bewegen, in der alles, vom Rasen bis zum Dach, aus Plastik gestanzt war. Hier hatte sogar der schmutziggraue Regen einen unwirklichen Talmiglanz.
Dusty parkte am Randstein in der Nähe des Eingangs in dem Bereich, der für Neuaufnahmen reserviert war. Er schaltete die Scheibenwischer aus, ließ aber den Motor noch laufen. »Hast du ihm erzählt, was du herausgefunden hast?«
»Dem guten Herrn Papa meinst du?« Skeet schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Nein. Es reicht mir, dass ich es weiß.«
In Wahrheit hatte Skeet noch ebenso große Angst vor Professor Caulfield, geborener Farner, wie als Kind – und möglicherweise mit gutem Grund.
»Cascade, Colorado.« Skeet sprach den Namen aus, als wäre es ein magischer Ort, Heimat von Zauberern, Greifen und Einhörnern.
»Willst du hinfahren und deine Großmutter besuchen?«
»Zu weit weg. Zu schwierig«, sagte Skeet. »Ich darf nicht mehr fahren.«
Man hatte ihm nach einer Reihe von Verkehrsverstößen den Führerschein entzogen. Zur Arbeit ließ er sich immer von Fig Newton mitnehmen.
»Hör zu«, sagte Dusty, »wenn du das Programm durchgezogen hast, fahre ich mit dir nach Cascade zu deiner Oma.«
Skate riss die Augen auf. »O Mann, das ist gefährlich.«
»So schlecht fahre ich nun auch wieder nicht.«
»Ich meine damit, dass man von den Leuten enttäuscht wird. Außer von dir und Martie. Und Dominique. Sie hat mich nie enttäuscht.«
Dominique war ihre Halbschwester. Sie war mit dem DownSyndrom geboren worden und noch als Kleinkind gestorben. Keiner von beiden hatte sie kennen gelernt, aber Skeet besuchte manchmal ihr Grab. Die Einzige, die davongekommen ist , nannte er sie.
»Man wird immer enttäuscht«, sagte er, »darum ist es nicht klug, wenn man zu viel von den Leuten erwartet.«
»Du hast gesagt, dass sie am Telefon nett geklungen hat. Und offensichtlich verachtet dein Vater sie, was ein gutes Zeichen ist. Verdammt gut. Und wenn sich herausstellen sollte, dass sie des Teufels Großmutter ist, bin ich ja bei dir und breche ihr alle Knochen.«
Mit einem wehmütigen Lächeln starrte Skeet durch die regenüberströmte Windschutzscheibe nach draußen, aber was er dort sah, war vielleicht nicht die reale Umgebung, sondern das erträumte Bild von Cascade, Colorado, wie er es sich im Geist bereits ausgemalt hatte. »Sie hat gesagt, sie hat mich lieb. Obwohl sie mich überhaupt nicht kennt.«
»Du bist ihr Enkel«, sagte Dusty und stellte den Motor ab.
Skeets Augen wirkten nicht nur gerötet und verquollen, sondern geradezu wund , als hätten sie zu viel Schmerzhaftes gesehen. Aber das Lächeln in den kältebleichen, zerstörten Zügen seines eingefallenen Gesichts strahlte Wärme aus. »Du bist nicht nur ein Halbbruder. Du bist ein Bruder und noch ein halber dazu.«
Dusty legte die Hand auf Skeets Hinterkopf und zog ihn an sich. Stirn an Stirn saßen sie eine Weile so da, und keiner von beiden sagte ein Wort.
Dann stiegen sie aus dem Lieferwagen und standen im kalten Regen.
9. Kapitel
Die dominierenden Möbelstücke in Dr. Mark Ahrimans Wartezimmer waren vier paarweise angeordnete, dem Design Ruhlmans nachempfundene Art-deco-Stühle aus lackiertem Holzgeflecht mit schwarzen Ledersitzen. Der Bodenbelag bestand aus schwarzem Granit, ebenso wie die Platten der beiden
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