Stimmen der Angst
Rasenflächen waren gepflegt, die Erde war noch feucht vom kürzlichen Regen. Die Büsche und Sträucher hatte man ordentlich gestutzt. Die nächtlichen Schatten waren nichts weiter als Schatten.
Obwohl Valet eher schreckhaft war, fühlte er sich hier offensichtlich so wohl, dass er ohne ein Zeichen von ängstlicher Nervosität sein Geschäft erledigte – rücksichtsvollerweise im gedämpften Schein einer Gartenlaterne, so dass sein Herr und Meister keine Mühe hatte, die Hinterlassenschaften aufzuklauben.
Der verräterisch gefüllte blaue Beutel lieferte Dusty einen Vorwand, den Weg hinter dem Klinikgebäude zu inspizieren, die Stelle, an die keine Rasenfläche grenzte. Während er den Beutel in die kleine Mülltonne warf, die er hier entdeckt hatte, ließ er den Blick über diese bescheidenere Ansicht der Klinik schweifen: Lieferanten- und Personaleingänge, Gerätecontainer, eine zweite kleine Mülltonne.
Weder er noch sein vierbeiniger Dr. Watson konnte auf der Rückseite des Hauses etwas Verdächtiges finden … obwohl Valet neben der zweiten Mülltonne eine fetttriefende Big-MacVerpackung entdeckte, mit der er sich gut und gern sechs oder sieben Stunden lang eingehender hätte beschäftigen können.
Als sie auf dem Rückweg zum Parkplatz zum zweiten Mal die Rasenfläche auf der Südseite des Gebäudes überquerten, blickte Dusty zu Skeets Zimmer im ersten Stock hoch … und sah dort einen Mann am Fenster stehen. Vor dem Hintergrund des gedämpften Lampenlichts im Zimmer zeichnete er sich als gesichtslose Silhouette ab.
Obwohl der Blickwinkel täuschen konnte, schien die Person zu groß und zu breitschultrig zu sein, als dass es sich um Skeet oder Dr. Donklin hätte handeln können. Tom Wong hatte Feierabend; er hatte die Klinik bereits verlassen, zudem war er auch von der Figur her ein anderer Typ als dieser Mann.
Dusty konnte das Gesicht des Fremden nicht erkennen, nicht einmal den leisesten Schimmer seiner Augen. Und doch war er sich sicher, dass ihn der Mann beobachtete.
Als wollte er mit einem Gespenst das Spiel »Wer zuerst blinzelt« spielen, blickte Dusty starr zu dem Fenster hinauf, bis die dunkle Gestalt sich mit der amöbenhaft fließenden Form eines Geisterwesens von der Scheibe löste und aus seinem Blickfeld entschwand.
Dusty überlegte kurz, ob er noch einmal schnell in das Zimmer seines Bruders zurückkehren sollte, um in Erfahrung zu bringen, wer der schattenhafte Beobachter gewesen war, aber mit ziemlicher Sicherheit würde sich bloß herausstellen, dass es ein Klinikangestellter war. Oder ein anderer Patient, der in Skeets Zimmer vorbeigeschaut hatte.
Und wenn sein nagendes Misstrauen doch keine reine Paranoia, sondern durchaus begründet war und der Mann am Fenster tatsächlich etwas Böses im Schilde führte, so würde er kaum noch dort anzutreffen sein, nachdem Dusty ihn gesehen hatte. In diesem Fall hatte er zweifellos längst das Weite gesucht.
Dustys gesunder Menschenverstand stritt mit seinem Misstrauen. Skeet hatte weder Geld noch glänzende Zukunftsaussichten, noch Macht. Er besaß nichts, was einen anderen hätte veranlassen können, irgendwelche klugen Ränke zu schmieden, um es ihm zu entwenden.
Und jeder Feind – sofern ein sanftmütiger Mensch wie Skeet überhaupt einen solchen hatte – würde einsehen, wie unsinnig es war, ausgeklügelte Pläne zu erfinden, um den Jungen zu quälen und zu vernichten. Sich selbst überlassen, würde Skeet sich bedenkenlos Qualen zufügen, die noch den Erfindungsgeist des grausamsten Kerkermeisters in den Schatten gestellt hätten. Er würde die eigene Vernichtung so effektiv vorantreiben, wie kein anderer dazu imstande wäre.
Vielleicht war es nicht einmal Skeets Zimmer. Auf den ersten Blick war er sich sicher gewesen, dass es das Fenster seines Bruders war. Aber … vielleicht war es ja auch das Fenster rechts oder links davon.
Dusty seufzte. Der stets mitfühlende Valet seufzte ebenfalls.
»Dein altes Herrchen dreht langsam durch«, sagte Dusty.
Er sehnte sich danach, zu Martie nach Hause zu kommen, den Wahnsinn des heutigen Tages hinter sich zu lassen und in die Normalität zurückzukehren.
*
Lizzie Borden mit dem Beile hackt ihren Mann in vierzig Teile. Diese abgewandelte erste Zeile des alten Knittelverses schwang wie ein Pendel in Marties Kopf hin und her und trennte den Faden ihrer Gedanken immer wieder durch, sodass es ihr schwer fiel, sich auf ihr Tun zu konzentrieren. Auf der Werkbank, die in der Garage stand, gab es
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