Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
hatte.
    Sicher, sie hatte sich einer Therapie unterzogen. Zwei Mal wöchentlich seit nunmehr sechzehn Monaten. In Anbetracht der Überwindung, die sie die Fahrt zu den Sitzungen und der Heimweg jedesmal gekostet hatte, war die Beharrlichkeit, die sie trotz der sehr beschränkten Erfolge an den Tag gelegt hatte, keine zu verachtende Leistung. Sich einer Therapie zu unterwerfen war andererseits in einer Zeit, in der ihr Leben auseinander zu brechen drohte, das Mindeste, was sie tun konnte. Dabei schien ihr unterwerfen genau das richtige Wort zu sein, denn sie hatte sich Dr. Ahrimans therapeutischen Bemühungen mit einer für sie untypischen Ergebenheit gefügt, wenn man bedachte, dass sie Ärzten früher fast so skeptisch begegnet war wie aufdringlichen Autoverkäufern, und ihre Diagnosen nie akzeptiert hatte, ohne sich selbst zu informieren und noch die Meinung anderer Spezialisten einzuholen.
    Erleichtert, dass sie nun kein aufwendiges Abendessen zuzubereiten brauchte, schob Susan die Pizza in die Mikrowelle. Wie eine Offenbarung kam ihr plötzlich die Erkenntnis, dass ihr der ritualisierte Tagesablauf zwar einen letzten Rest von innerer Stabilität erhalten, dabei aber verhindert hatte, dass sie aktiv gegen ihre Krankheit ankämpfte. Rituale betäubten, ließen ihr das Elend ihrer Verfassung erträglich erscheinen, brachten sie der Lösung ihrer Probleme jedoch keinen Schritt näher; sie brachten keine Linderung.
    Susan füllte ihr Glas. Auch Wein brachte keine Linderung, und sie musste aufpassen, dass sie sich nicht betrank und dann nicht mehr in der Lage war, ihr Vorhaben auszuführen; aber andererseits konnte sie wahrscheinlich in ihrer Euphorie und bei ihrem hohen Adrenalinspiegel die ganze Flasche leeren und sich dennoch darauf verlassen, dass ihr aufgepeitschter Metabolismus den Alkohol bis zur Schlafenszeit wieder abgebaut hatte.
    Während sie auf die Pizza wartete und nervös in der Küche auf und ab wanderte, konnte sie ihr bisheriges passives Verhalten immer weniger begreifen. Aus ihrer neu gewonnenen Distanz betrachtet, erschien es ihr fast, als hätte sie das vergangene Jahr unter einem Fluch gelebt, der ihre Denkfähigkeit getrübt, ihre Willenskraft geschwächt und ihre Seele mit finsterer Magie umstrickt hatte.
    Aber jetzt war der Bann gebrochen. Susan Jagger war wieder die Alte … mit klarem Kopf, energiegeladen und gewillt, ihre Wut als Chance zu begreifen und ihr Leben zu verändern.
    Er war irgendwo da draußen. Vielleicht beobachtete er sie in dieser Sekunde aus seinem Versteck in den Dünen. Vielleicht rollte er dann und wann auf Inlinern an ihrem Haus vorbei, machte eine Joggingrunde oder eine kleine Fahrradtour über die Promenade, einer unter vielen Fitnessfanatikern und sonstigen Vertretern der allgegenwärtigen kalifornischen Spaßgeneration. Aber er war irgendwo da draußen, so viel stand fest.
    Der Kerl hatte ihr seit drei Tagen keinen nächtlichen Besuch mehr abgestattet, aber das Muster, dem sein Verlangen gewöhnlich folgte, legte die Wahrscheinlichkeit nah, dass er noch vor Morgengrauen bei ihr auftauchen würde. Selbst wenn sie vom Schlaf übermannt wurde, selbst wenn sie irgendwie unter Drogen gesetzt wurde und nicht registrierte, was er ihr antat, würde sie am Morgen die Wahrheit über ihn wissen, weil ihn die versteckte Kamera mit etwas Glück auf frischer Tat ertappen würde.
    Wenn es Eric war, den ihr das Band zeigte, würde sie ihn so lange in den Hintern treten, dass ihr Schuh nur noch operativ von seinen traurigen Arschbacken zu trennen war. Und ihn dann für alle Zeiten aus ihrem Leben hinausexpedieren.
    Wenn es ein Fremder war – was sie für höchst unwahrscheinlich hielt –, hatte sie ein Beweismittel, mit dem sie zur Polizei gehen konnte. So demütigend es auch sein mochte, eine Aufnahme der eigenen Vergewaltigung als Beweis vorzulegen – sie würde tun, was getan werden musste.
    Während sie zum Tisch ging, um ihr Weinglas zu holen, kam ihr die Frage in den Sinn, was sein würde, wenn … wenn …
    Was, wenn sie sich beim Aufwachen missbraucht und wund fühlte, wenn sie die tückische Wärme seines Spermas spürte, das Band aber doch nichts weiter zeigte als sie selbst, wie sie sich in ekstatischen Zuckungen, in panischem Schrecken oder wie eine Irre in einem Anfall von Wahnsinn allein in ihrem Bett herumwälzte? Als wäre ihr nächtlicher Besucher ein Geist – warum nicht ein Inkubus? –, dessen Bild in keinem Spiegel und auf keinem Videoband zu sehen

Weitere Kostenlose Bücher