Stimmen der Angst
Gehirntumor begrüßen«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Immer noch besser als eine Geisteskrankheit. Einen Tumor kann man sich herausschneiden lassen, und wenn man Glück hat, ist man hinterher wieder wie neu.«
»Das ist es auch nicht«, sagte er, und die Linien gruben sich noch tiefer in sein Gesicht. »Es ist keine Geisteskrankheit.«
»Irgendetwas ist es«, sagte sie mit Nachdruck.
*
Susan saß im Bett und ließ sich die Pizza und den Merlot schmecken. Sie konnte sich nicht erinnern, je so köstlich gespeist zu haben.
Natürlich verfügte sie über genügend Scharfsinn und Selbsterkenntnis, um sich zu sagen, dass die Beschaffenheit ihres bescheidenen Mals wenig bis gar nichts damit zu tun hatte, dass es ihr so außerordentlich gut schmeckte. Peperoniwurst, Käse und ein knusprig-brauner Teigrand waren nicht annähernd so verlockend wie die Aussicht auf Gerechtigkeit.
Aus dem Bann ihrer unbegreiflichen Passivität und Hilflosigkeit befreit, gierte sie allerdings weniger nach Gerechtigkeit als nach einer satten Portion kalter Rache. Sie war sich durchaus ihrer Fähigkeit bewusst, mit archaischer Freude Vergeltung zu üben. Schließlich waren ihr wie jedem Menschengeschöpf vier Eckzähne und acht Schneidezähne gegeben, um ihre Beute besser in Stücke reißen zu können.
Bei dem Gedanken, wie eifrig sie Eric Martie gegenüber in Schutz genommen hatte, nahm sie einen kräftigen Bissen von der Pizza und zermalmte ihn in wütender Vorfreude.
Allein schon, dass sie sich, vielleicht als Reaktion auf Erics Ehebruch, in die Agoraphobie geflüchtet hatte, war Grund genug, es ihm heimzuzahlen. Sofern er aber tatsächlich der Phantombesucher war, der erbarmungslosen Missbrauch mit ihrem Geist und ihrem Körper trieb, dann standen die Dinge ganz anders, dann war er ein völlig anderer Mensch als jener, in den sie sich einmal verliebt hatte. Dann war er überhaupt kein Mensch mehr, sondern ein Tier, eine erbärmliche Kreatur. Ein Gewürm. Sie würde ihn mit dem Arm des Gesetzes niederschmettern wie ein Holzfäller, der seine Axt gegen eine Klapperschlange schwingt.
Kauend ließ Susan den Blick auf der Suche nach einem geeigneten Versteck für den Camcorder durch ihr Schlafzimmer schweifen.
*
Martie saß am Küchentisch und sah zu, wie Dusty das Chaos beseitigte, das sie angerichtet hatte.
Als er die Mülltonne von der Veranda über die Türschwelle in die Küche zog, klapperte und klimperte es darin wie in der Werkzeugtasche eines Abdeckers.
Martie führte ihr zweites Glas Scotch mit beiden Händen an die Lippen.
Nachdem Dusty die Tür zugezogen hatte, räumte er die Messer, Gabeln und die anderen Küchenutensilien in die Geschirrspülmaschine.
Weder der Anblick der scharfen Klingen und spitzen Zinken noch das Klimpern und die metallischen Kratzgeräusche versetzten Martie in Panik, auch wenn sich ihr die Kehle so eng zusammenschnürte, dass der warme Scotch nur in einem dünnen Rinnsal durch die Speiseröhre rieseln konnte.
Den Chardonnay und den Chablis stellte Dusty in den Kühlschrank zurück. Man konnte die Flaschen immer noch als Keulen benutzen und mühelos einen Schädel damit zertrümmern, aber Martie drängten sich nicht mehr diese zwanghaften Fantasien auf, sie beim Hals packen und damit zuschlagen zu müssen.
Nachdem Dusty die Gegenstände, die nicht gespült werden mussten, in den Schubladen verstaut hatte, schob er diese wieder in die Schränke. Dann sagte er: »Das Gerümpel in der Garage kann bis morgen warten.«
Martie nickte, sagte aber vorsichtshalber nichts, weil hier, am Schauplatz ihrer grotesken Raserei, Bilder des Wahnsinns wie giftige Sporen durch den Raum wehten und sie fast befürchtete, wieder davon angesteckt zu werden, sodass, wenn sie den Mund öffnete, nur der blanke Irrwitz hervorsprudeln würde.
Obwohl sie glaubte, keinen Bissen hinunterzubringen, drängte Dusty sie, wenigstens eine Kleinigkeit zu essen.
Im Kühlschrank stand eine Auflaufpfanne mit den Resten einer Lasagne, die noch für beide reichten. Dusty stellte die Pfanne in die Mikrowelle.
Dann putzte er frische Champignons und schnitt sie in Scheiben.
In seinen Händen sah das Messer ganz harmlos aus.
Während Dusty die Pilze erst mit Zwiebelwürfeln in Butter dünstete und sie dann zusammen mit einer Packung Zuckererbsen in einen Topf gab, saß Valet mit verträumtem Blick vor der Mikrowelle und sog begierig den Lasagneduft ein.
Bei dem Gedanken daran, wie sie hier noch kurz zuvor gewütet hatte, erschien
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