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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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  … Junge Dame, das ist ein Ort des Lernens und kein Bordell!«
    Carver hatte den Lehrern erklärt, dass in den Klassenzimmern so lange keine Disziplin herrschen würde, wie es in den Korridoren an Disziplin mangele. Schließlich hatten sich fast alle Lehrer bereit erklärt, in den Pausen aus ihren Klassenzimmern zu kommen und den Bereich in unmittelbarer Nähe im Auge zu behalten. Denn schon die Anwesenheit eines Erwachsenen im Umkreis von fünf Metern reichte aus, um das Begrapschen, Schikanieren und Fluchen zu unterbinden.
    Allerdings waren die Toiletten zu den notorischsten Orten der Schule geworden   – doch Carver war stolz darauf, auch das innerhalb eines Schulhalbjahrs in den Griff bekommen zu haben. Er hatte die stellvertretende Direktorin Mrs Walker gebeten, sich um die Mädchentoiletten zu kümmern, während er die der Jungen übernahm, die als Drogenhöhlen berüchtigt waren. Der Direktor hatte schwer geschluckt angesichts der vielen temporären Schulverweise während der ersten beiden Monate, die Officer Carver Petty da war   – dreimal mehr als in Buddy Blairs Amtszeit   –, doch Carver hatte ihm erklärt, dass sich die Jugendlichen schon an die Standards halten würden, wenn sie erst einmal eingeführt waren.
    Carver war in diesen ersten Wochen seiner Toiletten-Patrouillen in einige Sexszenen hineingeplatzt, hetero- und homosexuelle. Die Wiederholungstäter hatten darauf mit einem Rückzug in entlegene Räume und leere Klassenzimmer reagiert, aber schließlich hatte Carver jede Ecke und jeden Winkel ausfindig gemacht, wo Teenager und gelegentlich auch Lehrer es miteinander trieben. So war es ihm gelungen, den meisten Sex aus dem Gebäude zu vertreiben, und deshalb nahm er jetzt an, dass dieses Mädchen in den Wald gelaufen war, weil ihr Freund dort auf sie wartete. Der Wald war der letzte Außenposten für einen ungestörten Blowjob.
    Carver steckte die Sonnenbrille in die Hemdtasche und griff nach seinem Schlagstock, nicht weil er eine unmittelbare Gefahr sah, sondern weil gute Polizeiarbeit eine theatralische Note brauchte, vor allem, wenn es um Teenager ging. Die Uniform, der Schlagstock, die dröhnende Stimme   – all das zielte ganz auf die dramatische Wirkung. Seine Autorität beruhte zur Hälfte auf reiner Show, auch wenn er fast nie seinen Hut aufsetzte   – das barg zu viele Erinnerungen an weiße Streifenpolizisten auf den Highways, die ihn als jungen Mann schikaniert hatten. Buddy Blair hatte seinen Hut immer getragen, drinnen und draußen, und tief in die Stirn gezogen, wenn er morgens den Schülern zusah, wie sie durch die Metalldetektoren gingen. Was für ein Idiot.
    Carver war schon auf dem Weg zur Tür, als er sich noch einmal kurz nach Bobby Lee Grant umdrehte.
    »Bobby?«
    Der Junge hob kaum den Blick.
    »Siehst du die Überwachungskameras da?« Carver zeigte auf die vorderen Ecken des Raums. »Diese Kameras zeichnen alles auf, was du sagst und tust, während ich weg bin. Wenn ich zurückkomme und herausfinde, dass du ein Wort gesprochen hast oder von deinem Stuhl aufgestanden bist, wirst du den Rest der Woche in diesem Raum verbringen, verstanden?«
    Bobby nickte.
    Die Kameras funktionierten eigentlich gar nicht. Sie waren Teil von Carvers Show, vermittelten aber mit den alle sechzig Sekunden blinkenden roten Lichtern überzeugend die Illusion einer Überwachung. Dadurch hatte er jeden Tag ein paarmal Gelegenheit, in den Korridoren herumzulaufen, die Toiletten zu inspizieren und Anwesenheit zu demonstrieren. Und er brauchte diese regelmäßigen Pausen von seiner Aufsichtspflicht beim Schularrest auch   – was aber nicht hieß, dass es ihm etwas ausmachte, Jungen wie Bobby zu beaufsichtigen.
    Als er in den ersten Tagen seines Jobs am Schreibtisch gesessen und über die enorme Größe seines Büros nachgedacht hatte   – das früher ein Aufenthaltsraum für Lehrer gewesen war   –, hatte er beschlossen, es als Maßregelungsraum zur Verfügung zu stellen. Das wäre doch die beste Methode, fand er, die schlimmsten Störenfriede der Schule kennenzulernen, und gleichzeitig hatte Carver sich damit beim Schuldirektor und den strapazierten Lehrern beliebt gemacht. Jetzt musste ein Lehrer nur noch in Carvers Büro anrufen, ihm den Namen des Störenfrieds des Tages nennen und den Telefonhörer dann an den fraglichen Schüler weiterreichen. »Harris?« Carvers laute Stimme hallte auch über die Leitung dröhnend nach. »Du bist aus deinem Klassenzimmer verwiesen worden. Du

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