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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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dieser Schule, weshalb es ihn auch so sehr ärgerte, ein Mädchen im Wald verschwinden zu sehen. Als Neuntklässlerin war sie aber wohl noch zu neu an der Highschool, um schon gehört zu haben, dass Officer Carver Petty auch Augen im Hinterkopf hatte.
    Als Carver in den Wald trat, blieb er kurz stehen, um sein Taschentuch herauszuholen und sich über die Stirn zu wischen. Fünfundzwanzig Grad war warm genug, um ihm den Schweiß auf die Stirn zu treiben, und er wirkte gern cool und gefasst, wenn er einem Teenager gegenübertrat. Er nahm seine Sonnenbrille ab, als er sich unter den Zweigen des Sumachbaumes hindurchduckte, und ertappte sich bei dem stillen Wunsch, dass er das Mädchen nicht mit Drogen erwischen möge. Wenn sie irgendeinem Jungen einen Blowjob verpasste, würde sie nicht der Schule verwiesen werden, nur gedemütigt. Carver bestand bei jedem Schüler, den er beimSex erwischte, auf Gespräche zwischen Polizist und Eltern. Im Beisein der Schulkrankenschwester als rechtlicher Absicherung stellte er den Eltern gern sehr direkte Fragen. Praktiziert Ihr Kind Safer Sex? Haben Sie mit diesem Kind über Verhütung geredet? Wussten Sie, dass zehn Prozent der Teenager eine sexuell übertragbare Krankheit haben, wenn sie aufs College kommen? Dann gab die Krankenschwester den Eltern einen Packen Broschüren über Chlamydien, Gonorrhoe und Genitalwarzen mit. Und einen schönen Tag noch.
    Inzwischen stand Carver an der Stelle des alten Raucher-Clubs, roch aber keinen Rauch. Die verstreuten Zigarettenstummel und halb eingegrabenen Bierdosen wirkten einige Jahre alt, was er sich als einen weiteren Erfolg zuschrieb. Die einzigen Fußabdrücke führten ostwärts, weg von den meist moosbewachsenen Rendezvous-Stellen, an denen er früher schon Teenager in flagranti erwischt hatte. Lohnte es sich überhaupt, diesem Mädchen weiter zu folgen, fragte Carver sich, wenn sie nicht auf dem Weg zu einem der üblichen Verstecke gewesen war. Dieser Wald zog sich meilenweit hin, und sie konnte in jede Richtung gegangen, ja sogar umgekehrt und zur Schule zurückgelaufen sein, ohne dass er es mitbekommen hatte. Sie hatte ihren Rucksack dabei, vielleicht war sie auf dem Weg nach Hause gewesen. Oder sie war doch eine Zwölftklässlerin mit der Erlaubnis, früher gehen zu dürfen, obwohl Carver das bezweifelte. Wenn es etwas gab, das er nach zwanzig Jahren als Polizist sofort erkannte, dann war es ein schlechtes Gewissen. Niemand verließ die Schule durch den Wald, wenn er nicht etwas zu verbergen hatte.
    Er beschloss, dem Mädchen wenigstens noch eine kurze Strecke zu folgen, geführt von einem abgebrochenen Zweig und zertretenem Laub. Doch er war kein Fährtensucher. Er wollte gerade aufgeben und umkehren, als er zwei Rehe entdeckte, die nördlich von ihm aufgeschreckt davonsprangen.
    Da haben wir sie ja, dachte er.

11
    Als Carver die drei Felsblöcke erreichte, sah er zuerst die rechte Hand des Mädchens lässig, mit der Handfläche nach oben, am äußeren Rand des einen Felsens liegen. Darin hielt sie weder Zigarette noch Bier, noch eine Spritze. Stattdessen hatte sie die Arme so ausgebreitet, als wäre sie bereit für die Kreuzigung.
    Carver sah sich nach einem Jungen um, entdeckte aber keinen. Leise trat er ein paar Schritte näher, um zu sehen, ob das Mädchen weinte. Mädchen rannten manchmal aus dem Unterricht weg, wenn Mitschüler gemein zu ihnen gewesen waren oder wenn ihr Freund mit ihnen Schluss gemacht hatte. Vielleicht hatte dieses Mädchen auch eine gehässige SMS bekommen. Sie schien in die Baumkronen hinaufzublicken, also hob auch Carver den Blick und sah, dass dieses Laubdach es tatsächlich wert war, angeblickt zu werden   – gelbe und rote Blätter, mit ein paar hellgrünen Flecken hier und da.
    Er fragte sich, ob er das Mädchen einfach in Ruhe lassen sollte. Von der Seite konnte er ihr Gesicht nicht erkennen, aber er wusste, dass sie keiner der Störenfriede war. Bevor sie in die Highschool kamen, hatte sich meist herausgestellt, wer die problematischen Jugendlichen waren. Sie hatten oft schon eine lange Akte, und auch wenn Carver bereit war, jedem Teenager eine neue Chance zu geben, wusste er, wen er im Auge behalten musste.
    Soweit er es beurteilen konnte, gehörte dieses Mädchen nicht auf seinen Radar. Vielleicht hatte sie einen guten persönlichenGrund, hier zu sein, vielleicht wollte sie einfach nur mal allein sein. Die meisten privilegierten weißen Teenager hatten nicht genug Zeit für sich selbst. Sie

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