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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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Leichenstarre.
Lass los,
dachte sie.
Lass einfach alles los.
»Das bezieht sich wohl auf ›Tess von den d’Urbervilles‹. Aber ich glaube, die meisten Leser finden, dass Alec es verdient hat.«
    »Glauben Sie bitte nicht, dass ich irgendeiner dieser Behauptungen zustimme.« Jodie beobachtete Emma aufmerksam, ihr war der harte Zug um deren Mund und die Gereiztheit in der Stimme nicht entgangen. »Ich habe das Programm zur Frauenforschung hundertprozentig unterstützt. Ich fand nur, Sie sollten gewarnt sein, damit Sie wissen, welche wilden Anschuldigungen da draußen kursieren. Sie sagen, Sie haben Ihren Studenten erzählt, dass Sie Feministin sind. Nun, für die Hälfte der Studenten auf diesem Campus ist Feminismus ein erschreckendes Wort. Unsere jungen Frauen wollen zwar alle den gleichen Zugang zu Bildung und Jobs und das gleiche Gehalt für die gleiche Arbeit, aber die meisten würden sich selbst nie als Feministin bezeichnen. Es braucht nur ein paar Leute, die Gerüchte streuen und Sie einen jähzornigen Femi-Nazi nennen, und schon verbreitet sich überall im Web eine bösartige Lüge. Es ist schwierig, sich dagegen zur Wehr zu setzen.«
    »Heißt das, dass ich ein Opfer von Cyber-Mobbing bin?«
    »Ich sage, dass das alles bereits hässliche Züge annimmt.«
    »Wie geht Don damit um?« Emma stellte sich Don Kresgey schon belagert vor in seiner Burg fünfzig Meter den Hügel hinauf, jenseits des grünen Golfplatzes, der gestutzten Buchsbäume und der Bleiglasfenster, von Reportern an der Haustür zur Rede gestellt und von einer Flut von Anrufen und E-Mails überschwemmt, in denen ihr Name bis zum Überdruss wiederholt wurde: die Feministin Emma, die Femme fatale.
    »Er gibt keine öffentlichen Erklärungen ab«, sagte Jodie. »Und er ergreift nicht Partei. Don sagt, wir werden die Ermittlungenabwarten, bevor das College einen detaillierten Kommentar dazu abgibt.«
    Aha, dachte Emma. Dann musste sie sich also allein gegen eine von Studenten initiierte Rufmordkampagne wehren. »Ich nehme an, dass ich die Abschlussfeiern in der nächsten Woche wohl meiden soll?«
    Jodie beschloss, Emmas sarkastischen Ton zu ignorieren. »Ihr Erscheinen könnte sich kontraproduktiv auswirken. Das Ganze trübt bereits jetzt die Stimmung der Feierlichkeiten. Jacob hatte eine Menge Freunde.«
    Emma biss die Zähne zusammen. »Tut mir leid, dass ich allen solche Unannehmlichkeiten bereite.«
    Jodie seufzte. »Sie stecken in einer lausigen Situation, und die nächsten Wochen werden hart sein. Aber wenn die Studenten erst mal in die Sommerferien fahren, sollte die Lage sich wieder etwas entspannen, denke ich. Dann werden alle mit ihrem eigenen Leben beschäftigt sein, und ein Vorfall an irgendeinem College wird auch die Presse nicht allzu lange interessieren. Und bis dahin haben Sie ja das Glück, Sarah als P R-Frau zu haben.«
    Emma hob die Augenbrauen, und Jodie zeigte auf einen Flachbildfernseher in der Ecke, wo unter dem Gesicht einer Moderatorin lautlos CN N-Schlagzeilen liefen. »Sarahs Worte, dass Sie liebenswürdig und vernünftig sind und in einem Akt der Notwehr gehandelt haben, laufen auf allen Nachrichtenkanälen. So eine Stellungnahme wirkt nachhaltig. Falls die Fingerabdrücke Sie entlasten, sollte alles okay sein.«
    Emma registrierte die Konjunktion in Jodies Satz. Nicht »sobald«, sondern »falls«. Sie stand vom Sofa auf. »Ich gehe jetzt besser.«
    Jodie begleitete sie an die Haustür. »Ich halte Sie über alle Entwicklungen auf dem Laufenden. Sie können sich erst mal eine Weile zurückziehen.«
    Als Emma die Stufen vor dem Haus hinabging, kam ein dunkelgrüner Mercedes die Auffahrt heraufgefahren, und einälterer Mann in einem gut geschnittenen dunklen Jackett mit Krawatte, der den Wagen gefahren hatte, stieg aus und öffnete die Fondtür für zwei Frauen. Die erste, blass und blond und mit Perlen und Goldohrringen geschmückt, trug ein marineblaues Kostüm, das zum Jackett des Fahrers zu passen schien. Seine Ehefrau vermutlich, dachte Emma, als sie sah, wie er sie mit einer Höflichkeit am Ellbogen hielt, die von Liebe zeugte. Die zweite Frau, die aus dem Wagen stieg, war ein ganz anderer Typ   – ihre schwarzen Haare waren zu einem festen Knoten zurückgebunden, die Augen stark mit Eyeliner umrandet, und ihre Lippen leuchteten blutrot. Emma nahm an, dass sie schon älter war, denn sie bewegte sich ungelenk, so als wäre jeder Schritt schmerzhaft, und obwohl die Temperatur jetzt Mitte Mai schon dreißig Grad

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