Stirb für mich: Thriller
inwiefern ist sie krank, wenn nicht in diesem Sinne?«
»Sie ist Alkoholikerin.«
»Wie ihr Vater?«
»Vielleicht, aber auch aus anderen Gründen«, wich Boxer den komplizierteren Themen aus. »Sie hat in einer Branche gearbeitet, in der sie häufig Menschen ausführen musste.«
»Ich dachte, Stewardessen servieren die Drinks.«
»Auf einem Flug hat sie einen Regisseur für TV -Werbespots kennengelernt und wurde seine Produzentin«, sagte Boxer. »Und in dem Job musste sie Leute zum Lunch und zum Dinner einladen und jeweils eine Menge trinken. Die Gewohnheit ist sie nie mehr losgeworden.«
»Verstehst du dich mit deiner Mutter?«
»Sie ist eine schwierige Persönlichkeit«, sagte Boxer und dachte, dass Frauen bei dem wenigen, was er preisgab, offenbar ein intuitives Verständnis hatten. »Ihre Krankheit macht sie … launisch und jähzornig.«
Sie lachten, obwohl Boxer eigentlich nichts daran komisch fand.
»Sie mag meine Tochter Amy, was ich vor allem gerade jetzt beeindruckend finde«, sagte Boxer. »Ich höre sie in der Küche gackern wie eine alte Hexe und ihre Assistentin, die einen Eintopf aus Krötenaugen und Froschschenkeln anrühren.«
Wieder lachten sie.
»Warum wollte Frank nicht bleiben?«, fragte Boxer, um auch mal eine Frage unterzubringen. »Er hat gesagt, zwischen euch gebe es Grenzen, aber dies ist eine Extremsituation.«
»Ich mag ihn. Ich bewundere ihn. Ich liebe ihn sogar immer noch … was verrückt ist, ich weiß, wenn man bedenkt, dass er mich zerstört hat mit seinen permanenten Betrügereien, nicht nur den sexuellen. Ich dachte, er wäre ein Mann von überragenden Qualitäten, ein Mann, dem man vertrauen, an den man glauben kann. Aber ich hatte das Wichtigste an ihm übersehen. Er ist ein Schauspieler. Er kann vorgeben, alles und jeder zu sein. Er versteht es, Frauen glauben zu machen, dass er sie liebt. Er versteht es, das Vertrauen seiner Angestellten zu gewinnen. Politiker fressen ihm aus der Hand. Aber ich musste erkennen, da ist nichts. Oder genauer gesagt ist da schon etwas, es ist nur … Ich wollte das in seiner Gegenwart nicht sagen, weil es so brutal geklungen hätte, aber ich hatte das Gefühl, der Entführer kennt seine wahre Persönlichkeit. Als ich in dem Telefonat bezweifelte, dass ich der Mensch sei, der Chico am besten kennt, sagte der Kidnapper: ›Das passiert, wenn man sehr reich wird; man sorgt dafür, dass die Menschen einen so wenig wie möglich kennen. Das verschafft einem mehr Freiraum für Skrupellosigkeiten.‹ Und das ist der Kern von Chicos Persönlichkeit: eine monströse Skrupellosigkeit. Und deswegen können wir nicht zu viel Zeit miteinander verbringen, denn ich kann nicht unbegrenzt so tun, als wäre sie nicht da, und er weiß, dass ich es weiß.«
»Was ist mit Frank und Alyshia?«, fragte Boxer.
»Das kann ich nur eingeschränkt beantworten«, sagte Isabel sichtlich unbehaglich. Sie stand auf, räumte den Tisch ab und fragte ihn, ob er noch etwas wünsche. Als er ablehnte, tauchten die Whiskyflasche und die Gläser erneut auf dem Tisch auf. Mit einem Kaffee nahm sie schließlich wieder Platz. »Alyshia war für Chico immer ein ganz besonderes Kind. Er erkannte etwas Außergewöhnliches in ihr und schenkte ihr eine Aufmerksamkeit, wie er sie seinen Kindern in Mumbai nicht gewidmet hat. Ich würde gern glauben, dass er in ihr sein besseres Ich sieht. Wie er ist sie sehr schön. Dazu hochintelligent, brillant in Mathematik und mit einem Wirtschaftsdiplom von der London School of Economics. Chico wollte, dass sie noch einen Master in Business Administration draufsetzt, bevor sie nach Mumbai kommt, aber sie war erst einundzwanzig, und die meisten Colleges wollten sie nicht aufnehmen. Ich weiß nicht, was Chico gemacht hat, jedenfalls hat ihr die Saïd Business School in Oxford einen Platz angeboten, und nach dem zweijährigen Kurs dort ist sie direkt nach Mumbai gegangen, um an der Seite ihres Vaters die Realität kennenzulernen.«
»Er hat sie darauf vorbereitet, einen globalen Konzern zu leiten.«
»Den hat er jedenfalls aufgebaut. Er besaß schon das Studio in Bollywood, das expandierte und Filme produzierte, die durchweg Unsummen einspielten, nicht nur in Indien, sondern in der asiatischen Community weltweit. Er hat so viel Geld verdient, dass er ganze Firmen aufkaufen konnte. Er wusste, dass Autos der nächste große Wachstumsmarkt waren, also kaufte er eine Zuliefererfirma von TATA . Dann begann er mit der Produktion von Reifen und
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