Stirb für mich: Thriller
Julian.«
»Julian?«
»Ja, Julian Maitland-Smith, der Freund, den du hattest, als du an der Saïd Business School in Oxford warst. Er hat am Christchurch College über irgendeine obskure historische Episode promoviert. Ein bisschen älter als du, oder? Neunundzwanzig gegenüber deinen dreiundzwanzig. Weißt du, wo er jetzt ist?«
»Nein. Wir haben uns getrennt, nachdem ich das College verlassen habe, um nach Mumbai zu gehen.«
»Er sitzt im Gefängnis.«
»Weswegen?«
»Er hat sich während der Beziehung mit dir an einen gewissen Lebensstil gewöhnt und konnte nicht wieder davon lassen. Er musste sein kleines Suchtproblem finanzieren. Er hat auf dem Landsitz der Eltern eines Freundes übernachtet und sich gedacht, er könnte ein kleines Wodkaglas von Fabergé mitgehen lassen, um den Gerichtsvollzieher von seiner Schwelle fernzuhalten. Er hatte angenommen, er sei allein im Haus, und nicht mit dem Au-pair-Mädchen gerechnet. Sie hat ihn auf frischer Tat ertappt. Er hat auf sie eingeprügelt und sie halbtot liegen lassen. Hast du das nicht gelesen?«
»Nein.«
»Er wurde wegen versuchten Mordes verurteilt«, sagte die Stimme. »Da hast du also noch mal Glück gehabt.«
»Was hat das mit irgendwas zu tun?«, fragte sie und rieb sich fröstelnd die Schultern. »Kann ich eine Decke haben?«
»In Oxford ist etwas passiert, oder nicht? Etwas, das dich veranlasst hat, nach Mumbai zu gehen.«
»Etwas passiert?«
»Interessant«, sagte die Stimme. »Vorher hatten wir die Leugnung, jetzt einen klassischen Fall von Tabula rasa .«
»Was ist das?«
»Kein Latinum? Wohin ist es mit der Welt gekommen?«, sagte die Stimme. »Die abgeschabte Tafel. In diesem Fall hast du beschlossen, eine unangenehme Erinnerung aus deinem Gedächtnis zu tilgen. Politiker, Historiker, Geschäftsleute und Neurotiker tun das ständig. Es macht das Leben erträglicher.«
»Helfen Sie mir auf die Sprünge«, sagte sie und wandte sich dem Spiegel zu, weil sie nun sicher war, dass es sich um einen Einwegspiegel handelte. »Ich habe heute Abend viel durchgemacht; mein Verstand funktioniert nicht mehr so gut.«
»Abiola Adeshina, ein nigerianischer Kommilitone an der Saïd Business School.«
»Ja, der Nigerianer«, sagte sie und hatte ein Gefühl, als würde ein Stein in ihre Magengrube sacken.
»Mochtest du ihn?«
»Er war ganz nett.«
»Er war ziemlich verknallt in dich, oder?«, fragte die Stimme. »Andererseits waren alle ziemlich verknallt in Alyshia D’Cruz, nicht wahr?«
»Er hatte sich komplett verrannt«, sagte sie, ohne es so herablassend zu meinen, wie es sich anhörte.
»Ja, das kann man wohl sagen«, meinte die Stimme. »Aber war er arrogant, voreingenommen, brutal und dumm?«
»Nein.«
»Einige deiner Freunde würden behaupten, das sei ungewöhnlich für einen Nigerianer«, sagte die Stimme. »Hast du ihn dir deswegen ausgeguckt? Hast du seine Schwäche gewittert? An der Saïd Business School gab es vermutlich auch ein Seminar über das Gesetz des Dschungels.«
»Nicht ich habe ihn mir ausgeguckt, er hat mich ausgeguckt.«
»Ach ja, das Opfer warst also du«, sagte die Stimme.
»Ich bin müde«, erwiderte sie.
»Du darfst schlafen, sobald du mir erzählt hast, was mit dem armen Abiola geschehen ist.«
»Er war total vernarrt in mich. Ich konnte nichts dagegen machen.«
»Aber du hast etwas gemacht, um ihn loszuwerden«, sagte die Stimme. »Du hast es nur übertrieben. Du hast wahrscheinlich nicht gedacht, dass Abiola so sensibel ist, obwohl das, was du getan hast, wahrscheinlich jeden jungen Mann schwer mitgenommen hätte. Was ihr getan habt. Du und Julian.«
»Der Therapeut hat hinterher gesagt, dass es nichts mit mir zu tun hatte. Wenn Menschen vorhaben, etwas Derartiges zu tun, kann man sie nicht aufhalten. Sie sind fest entschlossen. Sie haben eine eigene Entscheidung getroffen. Das Problem liegt in ihrer Psyche.«
»Hey, schon gut, Alyshia, schon gut. Das Thema wühlt dich auf, wie ich sehe. Erzähl mir doch einfach, was passiert ist. Vielleicht fühlst du dich besser, wenn du mir deine Version der Ereignisse schildern kannst.«
»Ich möchte nicht darüber reden.«
»Wenn du so weitermachst, musst du die Schlafmaske wieder tragen«, drohte die Stimme höhnisch. »Und ich weiß, wie sehr du die Dunkelheit hasst. Man ist zu sehr auf sich selbst zurückgeworfen, nicht wahr? Ich helfe dir bei der Geschichte. Er war in dich verliebt. Lass uns damit anfangen. Wie hast du auf seine Aufmerksamkeit
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