Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
Vom Netzwerk:
möchte dir was schenken. Ist zwar total kitschig, aber … na ja …«
    Sie öffnete die Faust. In ihrer Handfläche lag ein Schlüsselanhänger, so wie man sie aus Kaugummiautomaten ziehen konnte, ein rosafarbenes Glitzerherz in einer durchsichtigen Plastikkugel. Sie hatte recht: Es war total kitschig und sah außerdem genauso billig aus, wie es wohl gewesen war. Sascha nahm es und ließ es an der Kette baumeln.
    »Geil.« Er konnte sich einen ironischen Unterton nicht verkneifen.
    »Ich hab’s Alina geschenkt, vor ewigen Zeiten. Sie hat es mir zurückgegeben. Einfach so. Und jetzt sollst du es haben. Weil – wegschmeißen kann ich es nicht, aber haben kann ich’s auch nicht.«
    Aha, dachte er und fragte sich, was er davon halten sollte. Was hatte Alina mit ihnen beiden zu tun? Oder war er der Mülleimer für alte Freundschaftsandenken?
    »Du findest es blöd, oder?«
    »Nein! Es ist … Danke.«
    »Du kannst es wegwerfen, wenn du willst, aber sag es mir nicht. Okay?«
    Er wollte sie zum Abschied wenigstens auf die Wange küssen, doch ehe er dazu kam, stieg sie ein. Von drinnen warf sie ihm eine Kusshand zu, dann wandte sie sich ab und ging Richtung Zugmitte, ohne sich noch einmal nach ihm umzuschauen.
    Die U-Bahn fuhr an und zog an ihm vorüber. Sie hatte schon Fahrt aufgenommen, da sprang ihn aus einem der letzten Wagen ein giftgrüner Farbklecks an. Er brauchte ein paar Sekunden, dann fiel es ihm wieder ein: der Junge mit der Baseballmütze.

[zurück]
     
    SCHWEIGEND STIEFELN WIR über den Alten Südlichen Friedhof, zwischen verwitterten Grabsteinen hindurch. Ich weiß nicht, was Natalie hier schaurig oder morbide findet. Ist doch eher wie ein Park. Aber sie hat sowieso komische Gedanken. Man wird nicht schlau aus ihr. Bei den anderen war es irgendwie einfacher. Sie haben mir aus der Hand gefressen. Distanziert sein, mysteriös – das hat super funktioniert. Das hat sie heiß gemacht. Ich wusste stets, wann ich welchen Knopf drücken musste, damit sie den nächsten Schritt gehen. Am Ende haben sie geglaubt, sie würden mich retten, weil diese Art Mädchen immer glauben, sie seien mit ihrer dummen Liebe und ihrer albernen Romantik die Rettung. Natalie ist da anders. Sie will niemanden retten. Auch sich selbst nicht.
    »Hast du wirklich keinem von mir erzählt, Natalie?«
    »Natürlich nicht!« Mein misstrauisches Nachfragen beleidigt sie. »Glaubst du, ich kann kein Geheimnis bewahren?«
    Doch, doch, Natalie, ich weiß, dass du das kannst. So, wie Sarah es konnte. Und Alina. Alles Mädchen, die ein Geheimnis bewahren konnten. Alles Mädchen, die ein Geheimnis hatten . Genau wie du. Aber vielleicht hast du ja sogar noch eines, du falsche Schlange. Womit wir bei dem hübschen Jungen wären. Sascha. Hab ich mich getäuscht? Ist er doch mehr als ein Kumpel für dich? Aber warum bist du dann überhaupt hier bei mir und nicht bei ihm? Was ziehst du hier ab?
    »Wenn wir einander nicht treu sind, sollten wir aufhören, uns zu sehen«, schlage ich vor, schiebe meine Hand in die Jackentasche und befühle das Tütchen mit dem Zyankali. Sollte sie tatsächlich auf mein Angebot eingehen, werde ich sie auf ein Abschiedsgetränk einladen und die Sache sofort zu Ende bringen. Außerplanmäßig. Lieber Gott, mach, dass es nicht dazu kommt. Ich will zusehen, wie sie stirbt. Außerdem würde alles Weitere dadurch so viel komplizierter.
    »Wieso spionierst du mir nach, Tristan?«, fragt sie, ohne auf meine Worte einzugehen. »Ich hab dich im Kino gesehen. Und in der U-Bahn warst du auch, oder?«
    Natürlich hast du mich gesehen. Das solltest du ja auch.
    »Ich pass nur auf dich auf, mein Engel. Auf uns. Wir beide haben etwas ganz Besonderes, das –«
    »Ja, ja«, unterbricht sie mich. »Wieso musst du das ständig sagen? Wenn man etwas wirklich fühlt, muss man es nicht dauernd sagen.«
    Du dumme Kuh! Ausgerechnet du willst mir was über wahre Gefühle erzählen? Am liebsten würde ich ihr ins Gesicht schlagen! Aber ich beherrsche mich, sage sanft wie ein Lamm: »Du hast recht«, und überwinde mich sogar, ihre kalte Hand zu nehmen und zu küssen. Danach aber lasse ich sie sofort wieder los und frage: »Was hast du dem Jungen eigentlich gegeben? Ich meine, als ihr euch vor der U-Bahn verabschiedet habt.«
    Erst guckt sie erstaunt, weil ich auch das weiß, dann sagt sie: »Nichts Besonderes. Ein kleines … Andenken.« Sie schlägt die Augen nieder.
    »Heißt das, du wirst ihn nicht mehr wiedersehen?«
    »In der Schule schon

Weitere Kostenlose Bücher