Stirb leise, mein Engel
aufschneiden«, giftete dieser Mirko weiter. Seine Stimme überschlug sich fast, so als würde er gleich anfangen zu heulen. Oder um sich zu schlagen. Oder beides.
»Jetzt hör endlich auf mit dem Quatsch. Wir können ja reden, nur eben nicht jetzt.«
»Ach, vergiss es! Arschloch!«
Polternde Schritte oben auf der Treppe. Sascha überlegte hastig, was er machen sollte. Wenn er weiterging, konnte Androsch sich ausrechnen, dass er den Streit mitbekommen hatte, und das wäre für sie beide bestimmt peinlich. Zu blöd! Ausgerechnet heute musste die Haustür offen stehen. Eilig lief er die paar Stufen wieder runter und hinaus vor die Tür, wo er den Klingelknopf nun umso fester und länger drückte. Er wartete sogar, bis der Türöffner surrte.
Als er den Flur nun zum zweiten Mal betrat, kam ihm ein Junge entgegen, dessen Gesicht kaum zu erkennen war, denn er hatte die Kapuze seines schwarzen Pullovers fast bis zur Nasenspitze runtergezogen.
»Verpiss dich«, zischte er Sascha von der Seite zu und rempelte ihn absichtlich an.
»Vollpfosten«, gab Sascha zurück, aber der andere lief einfach davon, und so ging auch er weiter Richtung Treppe.
Androsch erwartete ihn an der Tür. Nichts an ihm ließ vermuten, dass er eben noch heftig beschimpft worden war. Er sah aus wie immer. Nur dass er die ganze Zeit seinen Siegelring hin und her drehte, deutete auf eine gewisse innere Anspannung hin. Auf dem Weg zum Behandlungszimmer fragte Sascha sich, ob der junge Typ vielleicht Androschs Sohn war. Er wusste nicht, wie er auf diesen Gedanken kam. Vielleicht durch die Art, wie die beiden gestritten hatten.
Komisch, dachte er dann, während er sich auf die Couch sinken ließ und Androsch ihm gegenüber Platz nahm, er weiß jede Menge über mich, aber was weiß ich über ihn?
»Haben Sie eigentlich Kinder?«, fragte er, ehe Androsch mit seinem üblichen Spruch beginnen konnte.
Androsch sah ihn an. »Wieso willst du das wissen?«
»Nur so.«
»Ich habe einen Sohn«, antwortete er nach kurzem Zögern. »Ungefähr in deinem Alter.«
Bingo!, dachte Sascha. »Verstehen Sie sich gut mit ihm?«
»Mal so, mal so.« Androsch nahm Block und Stift vom Beistelltisch. Ein eindeutiges Zeichen, dass er lieber über Saschas Angelegenheiten reden wollte als über die eigenen. »Fangen wir an. Was war letzte Woche bei dir los?«
»Irgendwie komme ich mit meiner Mutter nicht mehr so richtig klar.«
»Was meinst du damit?«
»Sie behandelt mich wie ein kleines Kind. Dabei mach ich total viel, was andere in meinem Alter nicht tun. Ich kaufe ein, koche, putze, wasche. Nicht immer, aber total oft. Manchmal massiere ich ihr sogar den Nacken, wenn sie heimkommt. Das ist ja auch okay, null Problem. Was mich ärgert, ist: Wenn es darum geht, etwas zu entscheiden, dann werde ich vielleicht gefragt, aber zu bestimmen hab ich nichts.«
»War das schon immer so oder erst jetzt?«
»Keine Ahnung.« Er überlegte. »Ja, irgendwie schon immer. Aber es ist schlimmer geworden. Meine Eltern haben immer viel gearbeitet, beide. Ich kenne das gar nicht anders. Polizisten halt. Millionen Überstunden und so. Mir hat das nichts ausgemacht, Polizei war für mich immer cool. Ich hab halt früh gelernt, für mich selbst zu sorgen. Nicht so wie meine Kumpels, denen ihre Mamas alles hinstellen. Ich war der, der Mama alles hingestellt hat. Im letzten Jahr auf jeden Fall. Mama kann überhaupt nicht kochen, nur so Fertigzeug aufwärmen. Wenn gekocht wurde, war das mein Vater. Von ihm hab ich es auch gelernt. Mein Großer, hat er immer zu mir gesagt, obwohl ich da noch total klein war, eigentlich. Er war –« Sascha brach ab. Je mehr er erzählte, desto näher rückte ihm die Vergangenheit, und mit ihr die Trauer und der Schmerz. Viel zu nah. Besser, er schob das alles wieder weg.
»Ja?«
»Egal. Jedenfalls tut meine Mutter jetzt so, als wäre ich total unfähig, mit irgendwas selbst klarzukommen. Sie will immer sagen, wo’s langgeht.«
»Sie ist deine Mutter. Muss sie das nicht?«
»Kann sein, aber dann soll sie auch sonst meine Mutter sein. Nicht einmal so und dann wieder so. Mal soll ich erwachsen sein und den ganzen Alltag regeln, dann bin ich wieder das Kleinkind, das null Ahnung hat von gar nichts und tun soll, was sie sagt. Das ist doch total … scheiße …«
»Hast du das deiner Mutter schon mal gesagt? So wie mir jetzt?«
»Mit der kann man nicht reden.«
»Vielleicht hast du es noch gar nicht richtig versucht.«
»Wann denn? Sie kommt immer spät,
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