Stirb leise, mein Engel
hindeutet.«
»Kann ja sein. Aber wieso steht in keinem dieser Briefe was von dem Freund? Dem Menschen, den man liebt, wird man doch einen Abschiedsgruß gönnen, oder?«
»Vielleicht haben sie einen zweiten Brief geschrieben, nur für ihn, und an ihn abgeschickt.«
»Möglich, aber … alle drei Mädchen machen es genau gleich? Kommt mir unwahrscheinlich vor. Wieso nimmt jemand sich überhaupt genau dann das Leben, wenn er oder sie verliebt ist? Das ergibt doch keinen Sinn. Und Alinas Tagebuch …, die herausgerissenen Seiten … Das sieht doch so aus, als hätte jemand seine Spuren verwischt. Jemand, der von Anfang an nicht in Erscheinung treten wollte. Weil er von Anfang an eine ganz bestimmte Absicht verfolgt hat. Einen Plan.«
»Hm«, machte Joy. »Aber Natalies Brief an dich. Der belegt doch, dass sie freiwillig gestorben ist und Tristan ihr nur geholfen hat. Tristan, den sie im Übrigen nicht geliebt hat, wie sie selber schreibt.«
Sascha musste zugeben, dass sie damit einen wunden Punkt seiner schönen neuen Theorie getroffen hatte. Aber so leicht gab er sie nicht auf. »Kann es nicht sein, dass Tristan die Mädchen irgendwie dazu gebracht hat, sich das Leben zu nehmen? Durch Drohungen oder so was? Und bei Laila hat er es nicht geschafft, deshalb musste er sie ermorden.«
»Möglich wär’s natürlich, aber warum sollte er das tun?«
Sascha schnaubte. Die Fragen, mit denen sie seine Theorie torpedierte, fingen an, ihn zu nerven. »Weil er halt ein perverses Arschloch ist!«, rief er mit einem Anflug von Hilflosigkeit. Wieder etwas ruhiger, fügte er hinzu: »Kann sein, dass ich auf dem Holzweg bin. Vielleicht sehen wir klarer, wenn wir mehr über Laila wissen.«
20
»KEINE CHANCE«, SAGTE Sascha und legte auf. Von Lailas Familie hatte niemand Lust, mit wildfremden Jugendlichen zu reden, die angeblich bloß ein paar Fragen zu ihrer Tochter hatten. Nach den Zudringlichkeiten der Presse und den vielen Befragungen durch die Polizei wollten sie alle endlich ungestört trauern können.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Joy, die sich ungeniert auf Saschas Bett fläzte.
Er fuhr auf seinem Bürostuhl zu ihr herum. »Es dürfte noch andere Leute geben, die was über sie wissen. Vielleicht sogar mehr, als Eltern und Geschwister jemals erfahren würden.«
Joy nickte. »Und das sind genau die Infos, die wir brauchen, Sherlock, oder?«
»Exakt.« Beim Anblick ihrer Silhouette auf seinem Bett musste er wieder einmal an die Dünenlandschaft auf Androschs Fotos im Therapiezimmer denken.
»Freundinnen«, sagte Joy da.
»Volleyball«, sagte Sascha.
Er drehte sich zurück zum Tisch. In den Zeitungsartikeln tauchte immer wieder ein Mädchen als Quelle auf, eine Freundin und zugleich Mannschaftskameradin von Laila im Volleyballteam. Er blätterte durch die Ausdrucke der Artikel, die er chronologisch sortiert hatte. Joy war aufgestanden und hinter ihn getreten.
»Du hast alle Namen mit Leuchtstift markiert«, sagte sie. »Sehr übersichtlich. Jetzt weiß ich auch, warum du die guten Noten hast und nicht ich.«
»Sehr witzig. – Hier, das ist sie: Gina B.«
»Googeln.«
Er gab den Namen,
Damen-Volleyball
und
München
in die Suchmaske ein, und schon hatte er unzählige Treffer: Artikel der regionalen Sportberichterstattung, Vereinsseiten, private Homepages. Bereits der erste Link, den er anklickte, zeigte ein Mannschaftsfoto mit den vollen Namen aller Spielerinnen. Gina Brunner – das war eindeutig das Mädchen, das sie suchten. Sie und Laila hatten auf dem Foto die Arme umeinandergelegt.
»Facebook«, sagte Joy.
»Schon dabei.«
Er klickte auf das Facebook-Symbol in seiner Favoritenliste, loggte sich ein und tippte den Namen in die Suchzeile. Es gab mehr als eine Gina Brunner. Zum Glück hatte die, die sie suchten, ein Foto von sich in ihrem Profil. In ihrer Chronik fand sich kurz nach Lailas Tod ein knapper Eintrag:
Vor ein paar Tagen habe ich meine liebe Freundin Laila durch eine schreckliche, grausame, unmenschliche Tat verloren. Ich werde sie immer vermissen! Und der, der sie mir und allen, die sie lieben, entrissen hat, der soll in der Hölle schmoren!
Darunter befanden sich Hunderte von Kommentaren.
»Geh noch mal ganz nach oben«, sagte Joy, und als er das getan hatte: »Das hier kommt uns doch sehr gelegen.«
»Was denn?«
»Na, das da.« Sie deutete auf die Zeile mit Ginas Beruf.
Friseurin bei Star Cut
, stand dort.
»Ach ja? Und inwiefern kommt uns das gelegen?«
Joy fuhr ihm mit den
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