Stirb, mein Prinz
seine Versprechen nie ein. Kaum war er draußen, warf er Paul in die Höhle und machte genau da weiter, wo er aufgehört hatte. Und Paul musste ihn dann suchen gehen und ihn wegsperren, bevor er noch mehr Unheil anrichten konnte.
Aber jetzt saß Gärtner wieder in der Höhle.
Jetzt konnte Paul ganz beruhigt sein.
Paul wusste, was Gärtner diesmal getan hatte. Gärtner hatte es ihm selbst erzählt. Hatte ihm gesagt, es sei seine Pflicht gewesen. Seine heilige Pflicht. Und dass Paul es doch verstehen müsse. Und Paul hatte aufs Neue versucht, es ihm zu erklären.
»Nein … du … Was du machst, das ist … das ist falsch. Das ist … böse. So habe ich das alles nicht gemeint. Nein, nein, nein … so nicht …«
Und weil Gärtner jetzt in der Höhle saß, tat er so, als würde er zuhören. Dann tat er so, als müsse er weinen. Und Paul musste flüchten, irgendwohin, wo er das Weinen nicht hören konnte. Denn Gott war die Liebe. Und er war die Liebe. Und er würde ihn wieder freilassen.
Also saß er jetzt draußen vor dem Höhleneingang. Versuchte, ruhig zu werden.
Frische Luft atmen. Die Sonne im Gesicht spüren. Den Fluss hören – kleine Wellen, die ans Ufer schwappten. Das Wasser betrachten. Zusehen, wie Blätter hineinfallen.
Ruhig.
Nicht an Gärtner denken. Nicht daran denken, ihn freizulassen.
Nicht auf seine Schreie achten. Dem Wasser zuhören.
Ruhig.
Ganz ruhig.
Und nicht daran denken, was Gärtner getan hatte.
Was er noch tun würde.
Sobald Paul ihn das nächste Mal freiließ.
48 Rose war wütend. Sehr wütend.
Wut war nichts Neues für sie, aber diese Art von Wut schon. So plötzlich und überwältigend. Ganz tief in ihr drin. Wut, die streute wie eine Ladung Schrot.
Glass hatte sie am Morgen angerufen. Sie war schon wach gewesen. War sie irgendwann einmal nicht wach? Seit ihrer Beurlaubung schlief sie schlecht. Schlechter, als sie Marina oder einem der Polizeiärzte gegenüber zugegeben hatte. Sehr viel schlechter. Hyposomnie. Ein schwerer Fall, fast schon chronisch. Sie hatte es mit rezeptfreien Präparaten versucht. Dann mit Tabletten, die ihr der Hausarzt verschrieben hatte. Hatte vor dem Schlafengehen viel Alkohol getrunken. Hatte Sport getrieben bis zum Umfallen. Sogar lange, heiße, entspannende Wannenbäder genommen. Nichts hatte geholfen.
Also hatte sie sich mit ihrer Schlaflosigkeit abgefunden. Hatte sich damit abgefunden, wach im Bett zu liegen. Decke und Wände ihres Schlafzimmers anzustarren. Sobald sie die Augen zumachte, ging hinter ihren geschlossenen Lidern der Film los. Derselbe Film. Immer derselbe Film.
Der Tag auf dem Boot, sie konnte sich nicht rühren, diese Hände auf ihrem Körper … Sie wehrte sich, vergeblich …
Sie schlug die Augen auf, und alles war so wie vorher: die Wände, die Decke. Ihr Schlafzimmer. Nur Stille und Schatten. Und sie selbst. Rose. Allein. Immer allein. Nach der Sache mit Ben Fenwick und den Vorfällen auf dem Boot war es mit ihrer Ehe bergab gegangen. Irgendwann hatte ihr Mann den Schlussstrich gezogen. In gewisser Weise war das eine Erleichterung gewesen. Es war ihr alles zu viel geworden.
Sie hatte sogar versucht, die Schlaflosigkeit mit Sex zu kurieren. Nicht Liebe – so viel Nähe ertrug sie nicht. Sie wollte nicht, dass irgendjemand hinter ihren Schutzwall blickte, damit hätte sie nicht umgehen können. Nur Sex. Damit sie sich besser fühlen konnte, begehrt. Lebendig. Damit sie einen anderen Körper neben sich hatte, der die Schatten und die Dunkelheit von ihr fernhielt. Damit sie schlafen konnte. Auch das hatte nicht funktioniert. Sie hatte feststellen müssen, dass sie es nicht ertragen konnte, berührt zu werden. Und dass sie es hasste, wenn jemand nachts neben ihr schlief. Sie lag dann immer wach und sah ihm beim Schlafen zu und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis er sie anfasste, sie festhielt, sich ihr aufzwang …
Nein.
Also hatte sie allein gegen die Stille und die Schatten angekämpft. Ganz allein. Sie hatte keine andere Wahl gehabt. Geheilt war sie nicht, wenn sie ganz ehrlich war. Nur stärker. Besser gepanzert.
Das reichte aus. Es musste ausreichen.
Aber jetzt war sie wütend. Und daran war nicht zuletzt Glass’ Anruf schuld.
»Ich wollte nur mal hören, wie es so läuft. Fragen, wie Sie in dem Fall vorankommen.« Sachlich wie immer, aber nahm sie da einen gewissen Unterton wahr, der suggerierte, dass er sich vorstellte, wie sie gerade zu Hause saß? Vielleicht sogar, was sie anhatte? Sie verdrängte
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