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Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Titel: Stirb mit mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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hält den Docht in eine Flamme und stellt ihre Kerze zu den anderen. Ich warte darauf, dass sie nach dem Stift greift und eine Bitte niederschreibt, doch das tut sie nicht.
    Interessiert frage ich: »Für wen ist die Kerze?«
    Sie schweigt. Für einen Moment scheint es mir, als bete sie. Als sie mich anschaut, sind ihre Augen voller Kummer. »Für dich.«
    »Für mich? Ich bin nicht krank.«
    »Aber seit Kurzem hast du häufig Kopfschmerzen. Offenbar leidest du unter Stress, und es ist meine Aufgabe, mich um dich zu kümmern.«
    Sie nimmt mich am Arm und führt mich hinaus. Ich glaube, Lee weiß über Smith Bescheid, es kann gar nicht anders sein. Wie konnte ich mir je etwas anderes einbilden?
    Später, in meinem Haus, als wir im Bett liegen, fragt Lee: »Warum hast du nirgendwo Fotos stehen?«
    »Ich mag keinen Schnickschnack.«
    »Nicht einmal eins von deinen Eltern.« Sie macht eine Pause, ihr Blick wird nachdenklich. »Deine Mutter war immer so nett zu mir.«
    »Sie mochte dich.«
    »Was würde sie empfinden, wenn sie uns jetzt so zusammen sähe?«
    Ich betrachte ihr kurzes Haar, das auf dem weißen Kopfkissen ein wirres Muster bildet. Ihr Gesicht ist ungeschminkt und ungekünstelt. Sie arbeitet hart für ihren Lebensunterhalt, und sie liebt mich. Das ist alles, was meine Mutter sich für mich wünscht, vorausgesetzt, Lee wäre ein Mann.
    »Wahrscheinlich würde sie einen Anfall bekommen und mich wieder zu einem Psychiater schleppen.«
    »Das wäre nicht halb so schlimm wie die Reaktion meiner Familie. Als ich mich geoutet habe, hat mein Vater mir Hausverbot erteilt. Aber später hat er sich anders besonnen. Er hat eben Zeit gebraucht. Man darf sich nicht verleugnen, seine wahre Natur kann man ohnehin nicht verbergen.«
    »Ich bin nicht wie du, Lee. Du weißt, wer du bist. Und was du bist.«
    »Was bist du denn, Alice?« Sie ist laut geworden, was gar nicht zu ihr passt. Dann stützt sie sich auf den Ellbogen und umschließt mein Handgelenk. »Arme Alice. Du bist so klug und trotzdem kannst du das Offensichtliche nicht erkennen.«
    Ich befreie meine Hand. »Sei still.«
    »Warum sprichst du nie darüber?« Sie lässt sich zurücksinken und sieht mich an. »Warum sprichst du nie über dich und deine leibliche Mutter?«
    Meine Stimmung schlägt um, und Schwermut befällt mich. Für lange Zeit bringe ich keinen Ton hervor. Zu guter Letzt überwinde ich mich, was mich selbst erstaunt. Über meine Mummy und mich habe ich bisher noch nie gesprochen. »Ich war vier Jahre alt, als ich sie verloren habe. Sie war erst einundzwanzig und hätte ihr Leben noch vor sich gehabt, wenn die Umwelt einen Hauch freundlicher gewesen wäre. Sie hatte ein besseres Leben verdient.«
    Lee küsst meine Schulter. Mehr als jeder andere Mensch weiß sie, wie schwierig dieses Thema für mich ist.
    »Sie hätte so viel erreichen können, wenn sie mich nicht gehabt hätte. Ich habe ihr alles verdorben.«
    »Das war doch nicht deine Schuld. Ganz gleich, was geschehen ist, du hast dafür nichts gekonnt.«
    Ich küsse sie, verschließe uns beiden den Mund, damit wir nichts sagen, was wir später bereuen.
    Sie rückt ein Stück von mir ab und sieht mich ernst an. »Erzähl mir etwas, das du noch nie jemandem erzählt hast.«
    Ich will mich aus ihren Armen lösen, doch sie hält mich fest. »Lass mich an dich heran. Erzähl mir ein Geheimnis.«
    Daraufhin erzähle ich Lee die folgende Geschichte:
    Als ich zwölf Jahre alt war, hat mich ein Mädchen zu einer Übernachtungsparty eingeladen. Ich wurde nicht oft zu so etwas eingeladen, aber dieses Mädchen war aus meiner kirchlichen Jugendgruppe und musste mich wahrscheinlich aus christlicher Nächstenliebe fragen. Ich war fest entschlossen, an der Party teilzunehmen, doch schon als ich bei ihr ankam, fühlte ich mich schrecklich. Ich sah zu, wie die anderen lachten, sah ihre von der Kirschlimonade rot gefärbten Zähne und fühlte mich noch einsamer als zu Hause in meinem Zimmer. Als wir abends in unsere Schlafsäcke krochen, begannen einige der Mädchen Geistergeschichten zu erzählen.
    Ich fand das furchtbar und wollte, dass sie damit aufhörten. Auf einmal wollte ich nur noch nach Hause. Dann begann die Gastgeberin zu erzählen – ein mürrisches Mädchen mit mausbraunem Haar, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere. Ihre Geschichte handelte von einer Frau, die in einer einsamen Hütte wohnte und eines Abends ein Puzzle legte. Während sie bedächtig ein Puzzlestück an das andere fügte,

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