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Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Titel: Stirb mit mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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lesen; es war, als sei sie aus Granit. Alice wünschte, ihre Großmutter würde lächeln.
    Ihre Figur war stattlich, die schwarze Kleidung maßgeschneidert, das unnatürlich dunkle Haar zu einem Bob frisiert. Der Pony war gerade geschnitten, modisch und zugleich streng. Falls in ihren Zügen etwas Weiches war, hoben der dunkle Lidstrich und das Übermaß an Rouge auf den Wangen es wieder auf. Sämtliche Mängel, die sie zugänglicher gemacht hätten, hatte sie wie eine grausame Künstlerin entfernt oder übermalt.
    Alice wollte so viel, vor allem aber wollte sie mehr über ihre Eltern erfahren. Die Erinnerungen an ihre Mutter waren teilweise verblasst, deshalb sehnte sie sich nach netten Anekdoten, um ihren kleinen Vorrat an Liebe wieder aufzufüllen.
    Ihre Großmutter gab ihr nichts von dem Gewünschten. Mit klarer, kalter Stimme und trockenen Augen sprach sie über ihre verstorbene Tochter. »Matilde war viel zu jung. In dem Alter bekommt man noch kein Kind, das ist einfach lächerlich. Als ich dahintergekommen bin, konnte man es leider nicht mehr verhindern.«
    Mich, dachte Alice. Nicht »es«. Sie konnte mich nicht mehr verhindern.
    »Als wir zum Arzt gingen, war sie schon im siebten Monat. Es war geplant, dass sie das Kind zur Adoption freigibt. Damit wäre alles relativ einfach gewesen, sie hätte lediglich entbinden müssen. Doch sie kam auf die Schnapsidee, das Kind zu behalten.«
    Alice betrachtete ihre Hände. Sie waren blass und zitterten. Abgesehen davon fühlte sie sich unsichtbar.
    »Sie war in einem Heim für junge Mütter. Wahrscheinlich hat sie dort mitbekommen, dass die anderen Mädchen ihre Säuglinge behielten und ihnen Sozialwohnungen zugeteilt wurden. Da kam sie auf den verrückten Gedanken, sie könne das Gleiche tun. Ich war machtlos.«
    »Du hast uns mal in der Wohnung besucht. Ich erinnere mich an dich.«
    »Ja, ich bin kurz vorbeigekommen. Habe gesehen, in welch verkommenen Verhältnissen meine Tochter lebt. Ich wollte sie überreden, sich von dem Kind zu trennen. Aber sie war bockig und stur. Genau wie ihr Vater.« Bei den nächsten Worten hatte sie wenigstens so viel Anstand, Alice anzusehen. »Natürlich hätte man dir eine anständige Familie besorgt, aber Matilde war fest entschlossen, dich zu behalten, statt das zu tun, was für alle das Beste gewesen wäre.« Ihre Stimme brach. Es klang, als sei Glas zersprungen. »Meine Tochter war so klug. Sie hätte studieren können.«
    »Ich möchte auch studieren. Im nächsten Jahr komme ich in die Oberstufe.«
    Zum ersten Mal taxierte ihre Großmutter Alice mit Interesse, dann setzte sie wieder eine gleichgültige Miene auf.
    »Du dürftest ihren Verstand geerbt haben. Von mir habt ihr das jedenfalls nicht.« Ihre Großmutter bestellte einen weiteren Espresso. Alice war zu aufgeregt, um etwas anderes als Wasser trinken zu können, denn bald würde sie erfahren, wer sie war. »Ich habe dir einen Scheck mitgebracht, Alice. Ich möchte, dass du ihn annimmst und etwas aus deinem Leben machst. Mehr habe ich dir nicht zu bieten.«
    Auf dem runden Tisch zwischen ihnen stand eine silberne Dose voller Würfelzucker. Ihre Großmutter lehnte einen Umschlag dagegen. Alice nahm ihn und spähte hinein. Innen steckte der Scheck. Ihr Blick fiel auf den Betrag. Die Summe war dermaßen hoch, dass ihr der Mund offen stehen blieb.
    »Seid ihr reich? Du und mein Großvater?«
    »Ja.«
    »Trotzdem hast du uns in der kleinen Wohnung hausen lassen.« Da Alice davon ausging, dass sie sich nur dieses eine Mal trafen, konnte sie es ruhig aussprechen. Sie hatte nichts zu verlieren.
    »Richtig. Dafür hatte Matilde sich entschieden, obwohl sie jederzeit hätte nach Hause kommen können.«
    »Ohne mich?«
    »Ohne dich.«
    Ihre Großmutter ließ einen Zuckerwürfel in ihren Espresso fallen. Er löste sich auf. Süßes in Bitterem. Alice nippte an ihrem Mineralwasser, spürte die sprudelnde Flüssigkeit im Magen.
    »Ich möchte wissen, wer mein Vater ist.«
    Ihre Großmutter fuhr erst mit einem rotlackierten Fingernagel über das weiße Tischtuch und tippte sich dann auf die Unterlippe. »Spielt das eine Rolle?«
    »Natürlich spielt das eine Rolle«, brauste Alice auf. »Du weißt ja nicht, wie das ist, von Fremden aufgezogen zu werden. Sag es mir einfach, okay? Danach verschwinde ich für immer aus deinem Leben.«
    Die Frau am Nachbartisch drehte sich zu ihr um, doch das war Alice einerlei. Sie würde nie wieder herkommen. Ihr Magen hob sich. Den Weg zur Toilette konnte

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