Stirb mit mir: Roman (German Edition)
in die Royal Air Force eintrittst. Ich wusste nicht einmal, dass du fliegen wolltest.«
»Ich fliege nicht, ich halte die Ausrüstung in Schuss.«
»Ja, du hast schon immer gern Dinge repariert.«
Lee möchte auch mich reparieren, sehr sogar. So sehr, dass es mitunter wehtut. Aber ich sträube mich dagegen. Jemanden, der Hilfe ablehnt, kann man nicht heilen.
Lee ist anders als ich, das war schon früher so. Der Gedanke, mit sechzehn von der Schule zu gehen, wäre mir nie gekommen. Für Lee war er selbstverständlich. Die Lehrer hielten sie für unbegabt, was ein Irrtum war. In unserem Schwimmbad als Bademeisterin zu arbeiten, war vielleicht kein vielversprechender beruflicher Auftakt, doch ihr Eintritt in die Air Force zwei Jahre später war der Grundstein zu einer erfolgreichen Laufbahn. Für die Wartung der Ausrüstung zuständig zu sein, mag nicht großartig klingen, denn meistens geht es darum, Löcher in Schwimmwesten zu flicken oder Fallschirme korrekt zusammenzufalten und zu verstauen, aber im Endeffekt rettet Lee Leben. Ein Pilot ertrinkt nicht, wenn er eine intakte Schwimmweste hat, und wenn sein Fallschirm sich reibungslos öffnet, stürzt er nicht ab.
Lee war von Kindesbeinen an systematisch, von jeher ein Retter. Ich müsste mir lediglich wünschen, gerettet zu werden.
Sieben
Protokoll des Gesprächs mit Alice Mariani. Anmerkung:
Ich habe die Anklage um die Beweisunterlagen gebeten, die allerdings noch nicht eingetroffen sind.
Zum Gespräch:
Alice war bei David Jenkins, als er die tödliche Überdosis nahm. Sie hat sich der Sterbehilfe für schuldig erklärt, ein Verbrechen, das eine Gefängnisstrafe von bis zu vierzehn Jahren nach sich ziehen kann. Während des Gesprächs zeigte sie in Bezug auf diese Tat keine Reue. Hauptgrund dafür ist, dass sie diesen Schritt für eine moralische Entscheidung hält und glaubt, jeder Mensch habe das Recht selbst zwischen Leben und Tod zu wählen.
Anzeichen dafür, dass D. J. krank war oder Schmerzen hatte, gibt es nicht. Ebenso wenig war er verschuldet. Warum also wollte er sterben? Alice besteht darauf, dass ihre Tat ein Verbrechen ohne Opfer sei, dass sie sich geliebt hätten. Als Vierjährige wurde sie adoptiert. Ist das von Bedeutung?
Cate hörte auf zu tippen. Angeblich war Alice von einem Ehepaar angenommen worden, das sie gewollt hatte. Hatten ihre Adoptiveltern Alice die Liebe und Stabilität gegeben, die sie brauchte?
Das Telefon klingelte. Am anderen Ende war Dorothy vom Empfang.
»Cate, Ihre Mandantin ist da.«
»Danke, Dot.«
»Sie wirkt gereizt und hat hier unten schon für Wirbel gesorgt.«
»Ich komme sofort.«
Das Büro der Bewährungshilfeorganisation ist eine Zumutung. Abgestandene Luft und Zigarettenkippen, selbst die Plastikstühle sind schmierig. Sie hatte kein Recht, mich herzuzitieren. Am schlimmsten ist der Typ mit der Baseballkappe und den fauligen Zähnen, der mit mir reden will.
Cate Austin erscheint in der Tür, die ins Innere des Gebäudes führt, und öffnet die Trennschranke. Am liebsten würde ich hinaus auf die Straße laufen, aber ich folge ihr, ohne die Türpfosten zu berühren. Wer weiß, welche Bakterien daran haften. In ihrem Büro lasse ich mich nieder und versuche mich nach diesem Angriff auf meine Sinne wieder zu sammeln.
»Könnte ich bitte ein Glas Wasser bekommen?«
Sie wirkt unschlüssig. Ich nehme an, dass sie mich in ihrem Büro nicht alleinlassen darf. Ihr Zögern betrachte ich dennoch als Beleidigung. Ich bin keine Kriminelle. Ich bin anders als dieser lichtscheue Kerl, der unten mit mir gewartet hat. Cate verschwindet. Ich stehe auf. Auf ihrem Schreibtisch steht neben dem Computer ein gerahmtes Foto. Darauf ist ein kleines Mädchen zu sehen. Ein hübsches Ding auf einer Schaukel, die Beine ragen in die Luft. Wie konventionell. Der PC ist noch eingeschaltet. Ich beuge mich vor, um den Text auf dem Bildschirm zu lesen.
Im Nu ist sie zurück. Ich nehme meinen Platz wieder ein, weiche ihrem prüfenden Blick aus und tue, als fiele mir das Foto auf dem Schreibtisch gerade erst auf.
»Ist das Ihre Tochter?«
»Ja.«
Sie setzt sich hinter den Schreibtisch und dreht das Foto ganz leicht von mir fort.
»Wie alt ist sie?« Das Alter von Kindern konnte ich noch nie gut schätzen, auf diese Fähigkeit kann ich verzichten.
Sie zaudert. »Wir sind nicht hier, um über mich zu sprechen, Alice.«
Ich schaue noch einmal auf das Foto. Mir scheint, die Kleine ist in dem gleichen Alter
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