Stirb schön
gerechnet, dass ihr die Sicherheit der Familie wichtiger sein würde, selbst wenn das hieße, untätig zu bleiben. Stattdessen beharrte sie darauf, er müsse ungeachtet der Konsequenzen zur Polizei gehen.
Er setzte sich auf einen Küchenhocker und betrachtete sich in der Fensterscheibe. Ein gebeugter Mann, der sein Glas an die Lippen hob und trank, das Glas wieder abstellte.
Ein Mann, der völlig verzweifelt wirkte.
Tom trank den Whisky aus und ging ins Wohnzimmer, um Kellie zu wecken. Sie mussten noch einmal miteinander reden.
Das Gespräch zog sich bis in die Nacht, und Tom legte sich irgendwann erschöpft ins Bett, war um drei Uhr aber immer noch wach. Und um vier. Warf sich hin und her. Mit ausgedörrtem Mund und rasenden Kopfschmerzen.
Heute Nacht waren sie noch sicher. Heute Nacht musste er sich nicht um irgendwelche Drohungen kümmern. Kellie war der Meinung, die Polizei werde schon für ihre Sicherheit sorgen. Tom hingegen hatte da so seine Zweifel.
Der Morgen dämmerte. Um fünf hörte er das Zischen von Reifen, ein Jaulen, scheppernde Flaschen. Noch eine Stunde, dann würden sich die Kinder rühren und ins Schlafzimmer stürmen. Es war Samstag, normalerweise sein Lieblingstag.
Kellie hatte gesagt, er könne die Polizei um Diskretion bitten. Wie sollte denn überhaupt jemand herausfinden, dass er es war, der mit der Kripo gesprochen hatte?
»Alles okay, Schatz?«, fragte sie unvermittelt.
»Ich bin noch wach, hab kein Auge zugetan.«
»Ich auch nicht.«
Er drückte ihre Hand. Sie drückte zurück. »Ich liebe dich«, sagte er.
»Ich dich auch.« Und dann: »Hast du dich entschieden?«
Er schwieg einen Moment. »Ja«, sagte er leise.
34
ROY GRACE VERBRACHTE EBENFALLS eine schlaflose Nacht. In seinem Kopf rotierten diverse Dinge, die er für die Soko Nachtigall überprüfen musste, wie auch die Worte von Brent Mackenzie.
Die Sache ist die, Kollege, Sie befinden sich in echter Gefahr. Hat mit diesem Skarabäus zu tun. Passen Sie gut auf sich auf.
Was hatte der Hellseher damit gemeint? Vielleicht war es nur eine Ahnung der Unruhe gewesen, die der Skarabäus in Grace ausgelöst hatte.
Dann kehrten seine Gedanken wieder zu Janie Stretton zurück. Er verdrängte die Erinnerung an ihren verzweifelten Vater, er war mit der Zeit womöglich abgehärteter geworden, als ihm lieb war. Dennoch war es die einzige Möglichkeit, solche Dinge zu verarbeiten. Er dachte an das, was man ihr angetan hatte. Worin lag der Sinn, ihren Kopf mitzunehmen, aber eine Hand zurückzulassen? Es musste doch eine Botschaft dahinter stecken. Aber an wen? Die Polizei? Oder war der Kopf eine Art perverser Trophäe gewesen?
Und wozu der Skarabäus?
Wollte der Mörder – oder die Mörderin – besonders intellektuell wirken?
Als Nächstes kam ihm Alison Vospers Warnung in den Sinn, die von seiner letzten Chance gesprochen hatte. Wenn er seine Stelle behalten und in Brighton bleiben wollte, musste er Janies Mörder finden und durfte sich dabei keine Fehltritte leisten, keine Schlagzeilen über Polizisten, die sich mit Okkultismus abgaben, und Verdächtige, die bei Verfolgungsjagden umkamen.
Er musste alles und jeden mit Samthandschuhen anfassen. Auf dem Wasser zu wandeln wäre vermutlich leichter.
Um sechs Uhr früh hatte Grace genug vom morgendlichen Vogelchor, den scheppernden Milchflaschen, dem fernen Hundegebell und dem ganzen Mist in seinem Kopf.
Roy schob die Bettdecke weg, setzte sich einen Augenblick auf die Bettkante und rieb die schmerzenden Augen. Er hatte höchstens eine halbe Stunde geschlafen, wenn überhaupt. Und war an diesem Abend verabredet. Was ganz, ganz wichtig war.
Auch deswegen hatte er so wenig geschlafen. Er war aufgeregt wie ein blöder Teenager! Aber er konnte nicht anders, er wusste nicht mehr, wann er sich zuletzt so gefühlt hatte.
Er trat ans Fenster, lüpfte den Vorhang und schaute hinaus. Der Himmel war wie eine makellose blaue Leinwand, es würde ein schöner Tag werden.
Samstagmorgen. Er erinnerte sich an seine früheren Morgenläufe, von denen er Sandy immer die Daily Mail und ein Mandelcroissant aus der Bäckerei in der Church Road mitgebracht hatte.
Er zog den Vorhang ganz zurück, Sonnenschein flutete herein. Und zum ersten Mal seit vielen Jahren konnte er das Zimmer in einem neuen Licht betrachten.
Er sah das Schlafzimmer einer Frau, das in verschiedenen Rosatönen gehalten war. Eine viktorianische Frisierkommode aus Mahagoni (ein Schnäppchen von einem Stand auf dem Markt in
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