Stirb
einer Ratte.
Die Luft war kühl und durchzogen von einem fischigen Geruch, wie Emma ihn vom Hafen kannte. Nur stärker. Seit jener grausamen Nacht in Berlin hatte sie höllische Angst, ohne Licht zu schlafen; jetzt war sie der Dunkelheit gnadenlos ausgeliefert, die lediglich von einem schmalen Streifen Mondlicht durchbrochen wurde, der durch einen winzigen Spalt wie ein feiner Sandstrahl auf sie herabrieselte.
Ein salziger Geschmack lag ihr auf der staubtrockenen Zunge, während sie bemerkte, dass ihre Hände hinter ihrem Rücken so straff an einen faulen Holzpfahl gefesselt waren, dass es ihr jegliches Blut in den Adern abdrückte. Aber noch schlimmer als der Schmerz war die Kälte, die ihr unaufhaltsam in die Glieder kroch. Emma stand bis zu den Knien in kühlem Wasser, das von Minute zu Minute kälter zu werden schien.
Ganz allmählich tauchten um sie herum die Umrisse mächtiger Felsen auf, die wie meterhohe Pfeilspitzen aus dem Wasser ragten. Krampfhaft versuchte Emma, die Erinnerungsfetzen in ihrem Kopf zu einem sinnvollen Bild zusammenzusetzen, doch da war nichts als ein diffuser Nebel, der ihre Gedanken verschleierte.
Sie war nach der Schule mit dem Bus zum Reitstall gefahren. An der Koppel vorbeigelaufen, durch den Hintereingang in die Sattelkammer gelangt. Aus dem Boxenstall war ein gequältes Wiehern zu hören gewesen. Emma war in den Stall gerannt, hatte ihre Trakehnerstute zuckend im Stroh vorgefunden. Erst als sie genauer hinsah, hatte sie erkannt, dass das braune Fell vom Hals abwärts ganz schwarz war und nass von Blut. Die Tränen waren Emma nur so über das Gesicht geströmt, die Knie förmlich unter ihr weggeknickt, bevor sie sich verzweifelt an das Tier gedrückt und dafür gebetet hatte, dass es nicht sterben würde. Noch ehe sie einen Gedanken daran verschwenden konnte, wer hinter der Tat steckte, hatte ihr eine kräftige Hand einen stinkenden Stofflappen auf Mund und Nase gepresst, bis sie das Bewusstsein verloren hatte.
Das Signalhorn eines herannahenden Schiffs ließ Emma aufhorchen und holte sie abrupt zurück in die Gegenwart. Doch schon im nächsten Moment entfernte es sich wieder. Resigniert ließ sie den Kopf hängen, als sie in nächster Sekunde das Aufflackern einer Taschenlampe aufschreckte.
Ein dünner Lichtstrahl glitt über die rötlichen Felswände. Emma gab erstickte Laute von sich und rüttelte mit aller Kraft an dem Pfahl, um bloß irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. Hier! Ich bin hier! Hier drüben!, hätte sie am liebsten laut herausgeschrien, wenn sie nur gekonnt hätte. Doch so zielstrebig, wie der Lichtstrahl jetzt auf sie zukam, schien wer auch immer sich dahinter verbarg exakt zu wissen, wo sie sich befand.
Schritte klangen durch die Höhle und kamen zügig näher.
Emma erschauerte. Das war niemand von der Polizei. Niemand, der gekommen war, um sie zu retten.
Der Geruch von Zigarettenrauch durchdrang die feuchte Luft. Emmas Herz hämmerte und raste vor Angst, als eine dunkle Gestalt über die Felsen hinabgestiegen kam.
Mit ruckartigen Bewegungen versuchte sie, sich aus den Fesseln zu befreien, während das Seil immer tiefer in ihre wundgescheuerten Handgelenke einschnitt.
Der Mann in Anglerstiefeln und schwarzer Skimaske war jetzt nur noch wenige Schritte von ihr entfernt, als sie der grelle Schein der Taschenlampe im Gesicht traf. Emma kniff die Augen zusammen und versuchte, daran vorbeizusehen, doch je mehr sie gegen das Licht anblinzelte, desto mehr rote und blaue Punkte tanzten vor ihren Augen.
Ihr wurde schlecht vor Angst, als der Mann sie im Wasser zu umkreisen begann wie eine Katze, die mit ihrer Beute spielt, bevor sie sie tötet. So fest sie konnte, presste sich Emma mit dem Rücken an den Pfahl. Unzählige kleine Holzsplitter bohrten sich durch ihr zerrissenes T-Shirt in die Haut, als der Mann plötzlich dicht hinter ihr stehen blieb und auf ihre gelockerten Fesseln leuchtete.
Er stieß ein leises Geräusch aus und zog sie ruckartig straffer, so dass Emma erneut ein sengender Schmerz durchfuhr. Dann schlich er weiter um sie herum, streckte seine rauen Finger nach ihrer Wange aus. Emma presste die Lider fest zusammen. Als sie spürte, wie er ihr Kinn in die Hand nahm, wandte sie ruckartig das Gesicht ab. Seine Fingerspitzen wanderten über ihren zierlichen Hals zu ihrer Brust hinab. Emma zwang sich, nicht zu zittern, doch sie konnte nichts dagegen tun. Alles in ihr schrie. Die Augen weiter zusammengekniffen, wand sie sich in den Fesseln.
Dann
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