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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Mannes wider: nicht sehr sauber. Steif wie Justitia, deren
Rache er zu spüren bekommen hatte, breitete er seine hundert Kilo verdorbenes
Fleisch auf dem abgetretenen Linoleum aus. Sein Gesicht war schon zu Lebzeiten
nicht das eines Adonis gewesen; jetzt war es abstoßend häßlich. Die Erhabenheit
des Todes! Solch ein Quatsch! Seine rechte Hand umklammerte eine 22er mit
langem Lauf. Mit der hatte er sich verteidigt, allerdings sehr schlecht.
    Um die Leiche herum herrschte ein hübsches
Durcheinander. Nicht gerade ein Kunstwerk. Offene Schubladen, verstreute Akten.
Dasselbe in den anderen Räumen, in die ich mich auf Zehenspitzen wagte. Der
Kerl, der Lemeunier eins verpaßt hatte, war bestimmt schon ganz heiser gewesen
vom vielen Reden und hatte deshalb Kollege Browning sprechen lassen. Nach dem
Großreinemachen hatte er in aller Eile seine Akte gesucht und mitgenommen. Ich
sah mich gründlich um, gewann aber nur die Überzeugung, daß es wohl ‘ne Menge
Leute gab, die Lemeuniers Tod ganz und gar nicht beruhigte. Jetzt würden die
Flics in den Papieren des ordnungsliebenden Vampirs herumschnüffeln. Ich
schnappte mir alles, was ich brauchte: ein Thema für meine Doktorarbeit in
Philosophie. Meine Studien wollte ich aber lieber an einem weniger ungesunden
Ort fortsetzen. Auf dem Weg nach draußen ließ ich noch zwei gebundene
Sammelbände von Ausgaben der Bonne
Nouvelle mitgehen. Solche Bände sind manchmal eine Quelle nützlicher
Informationen.
    Ich öffnete die gepolsterte Tür. Die Melodie von Paris-Canaille drang an
mein Ohr, gepfiffen von einem fröhlichen Zeitgenossen. Paris-Canaille! Komischer Zufall.
Komisch, aber leider nicht zum Lachen! Der Pfeifer kam die Treppe rauf. Besuch
für Lemeunier!
    Mit einem Sprung war ich wieder im Büro und
flüchtete dann ins Nebenzimmer. Das Pfeifen brach ab. Eine junge, fröhliche
Stimme trompetete:
    „Was’n los? Festbeleuchtung, die Tür nicht mehr
verrammelt? ...“
    Mit einem Schlag war die Stimme weder jung noch
fröhlich. Nur noch eine Art gurgelndes Knurren. Ein scheußliches Geräusch wie
bei einer Maschine, die gerade kaputtgeht.
    „Scheiße!“
    Das war immer noch die Nachtigall, aber die
Stimme klang völlig verändert, kaum wiederzuerkennen.
    „Scheiße!“ wiederholte die Stimme ein gutes
dutzendmal.
    Selbst für Lemeunier hätte man sich eine etwas
abwechslungsreichere Grabrede gewünscht. Aber der Vogel war zu verdutzt, um
sich was Besseres auszudenken. Durch den Spalt der Tür, hinter der ich stand,
konnte ich den jungen Mann sehen. Ungezwungen und großspurig, wenn nicht gerade
eine Leiche vor seinen Füßen lag. Im Augenblick grün vor Angst in dem kantigen
Gesicht mit einer etwas schiefen Nase. Auf blonden Haaren saß ein grauer Hut.
Glencheckjacke, weiche Flanellhose. Die Knie darin ebenfalls weich. Seine
Finger umkrampften den Griff einer Ledermappe. Darin war bestimmt eine kleine
Fleißarbeit. Eine Arbeit, die er abliefern wollte, die aber nie bezahlt werden
würde. Zum letzten Mal rief er Cambronne zu Hilfe, um sich Mut zu machen. Dann
haute er ab, langsam, rückwärts, die untertellergroßen Augen starr auf
Lemeuniers Leiche gerichtet.
    Ich kam aus meinem Versteck hervor und machte
mich ebenfalls aus dem Staub. Im Treppenhaus begegnete mir niemand. Unbehelligt
trat ich auf die Rue Feydeau. Vielleicht war mein pfeifender Jüngling in eins
der umliegenden Bistros gegangen, um sich mit einem Schluck Beruhigungstee
aufzumuntern. Ich fand ihn aber nirgends. Also kehrte ich in die Agentur Fiat
Lux zurück.
     
    * * *
     
    Hélène saß an ihrem Platz. Nachdem wir die
üblichen Freundlichkeiten ausgetauscht hatten, legte ich die beiden Sammelbände
auf den Tisch.
    „Was ist das?“ erkundigte sich meine Sekretärin.
    „Eine fast vollständige Ausgabensammlung der Bonne Nouvelle. Sehr wertvoll.
Erstens sind Nummern darunter, die nie in den Verkauf gelangt sind, weil die
Betroffenen einen kräftigen Zuschuß zu den Druckkosten gegeben haben. Und
zweitens kann so was immer mal nützlich sein.“
    Sie zog ihr hübsches kleines Näschen kraus:
    „La Bonne Nouvelle? Dieses Erpresserblatt?“
    „Ja.“
    „Günstig gekriegt?“
    „Geerbt...“
    Ich setzte mich und stopfte mir eine Pfeife.
Dann erzählte ich Hélène, warum ich zu Lemeunier gegangen war, wie ich ihn
gefunden hatte usw.
    „Und das alles vor neun Uhr morgens!“ rief sie.
    „Für diesen Sport bin ich immer zu haben.“
    „Wer war’s?“
    Ich lachte.
    „Ihr Vertrauen ehrt mich, mein

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